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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Hand auf den Bauch seiner Mutter zu legen und dem Getrampel nachzuspüren.
    Luise kniff Ilse in die Nase.
    »Nein, meine Kleine. Alles ist gut. Ich muss mich nur ein bisschen ausruhen. Lass mich nur eine Viertelstunde in Ruhe, ja? Dann mache ich uns was zu essen.«
    Ilse sprang vom Bett, ihre beiden Zöpfe wippten in die Höhe. Als sie im Flur stand, warf sie ihrer Mutter einen Handkuss zu und schloss leise die Tür.
    Die beiden waren wunderbar. Was würde Ilse nur ohne ihre Kinder anfangen. Axel war so selten daheim. Die Arbeit forderte ihn völlig, und nach Feierabend ging er in der letzten Zeit immer häufiger mit Kollegen aus. Sie war ja auch keine besonders gute Ehefrau. Seit sie schwanger war, hatten sie nicht mehr miteinander geschlafen. Luise hatte einfach keine Lust mehr. Es bereitete ihr Schmerzen, wenn er in sie eindrang. Es gab ja auch noch andere Arten, beieinander zu sein, aber das hatten sie noch nie gemacht. Als sie mit Axel und Ilse schwanger war, hatten sie auch enthaltsam gelebt. Ob Axel etwas vermisste? Bestimmt, doch er zeigte es nicht. Er war ein guter Mann. Auch Walter wuchs immer mehr zu einem heran. Er wurde so schnell erwachsen. Viel zu schnell. Axel hatte recht. Man konnte nur hoffen, dass der Krieg zu Ende war, bevor er alt genug wurde, einberufen zu werden. So wie dieser Bildhauer, den sie heute bei Erna Neeb kennengelernt hatte.
    »Komm doch auf einen Kaffee vorbei«, hatte die Freundin morgens gesagt, als sie gemeinsam in der Schlange vor Hausers Lebensmittelladen standen. Es sollte Erdbeeren geben, aber als sie endlich an die Reihe kam, waren sie ausverkauft.
    »Wir feiern Abschied von einem Freund«, hatte Erna noch hinzugefügt.
    Der Freund hieß Kurt und stammte aus Stuttgart. Schon mit vierzehn war er nach Berlin gekommen, um bei einem Holzschnitzer in die Lehre zu gehen, trotzdem hörte man den schwäbischen Dialekt noch deutlich. Als Luise das Zimmer betrat, stand er auf und begrüßte sie mit einem formvollendeten Handkuss. An Erna gewandt sagte er:
    »Ja sag emol, wie kunnt ihr mir a so schöns Frauenzimmer so lang vorenthalten. Jetzt isses aweng zu spät!«
    Die Runde lachte, Kurts Frau am lautesten. Sie klopfte ihm auf den Arm:
    »Ja, mein Lieber, schöne Frauen wirst du nicht mehr so viele um dich haben in der nächsten Zeit. Keine Aktmodelle mehr ...«
    »Ich dachte, Kurt arbeitet nur noch abstrakt«, mischte sich Erna Neeb mit erhobenem Zeigefinger ein. Der Angesprochene antwortete lachend: »Ja, des scho! Aber a abschdragde Kunschd braucht aweng a Muse.«
    Neben dem Ehepaar Neeb waren noch die beiden streitlustigen Harro und Libs sowie der kräftige Werner anwesend, die Luise bereits von ihrem letzten Besuch kannte. Gustav deutete auf den Schrank von einem Mann, der den Ohrensessel vollständig ausfüllte.
    »Ich glaube, mit unserem Ringerass Werner hast du dich Sonntag gut unterhalten, Luise.«
    Sie nickte, obwohl sie erst jetzt erfuhr, dass er Sportler war. Sie hätte sich das denken können, bei diesem Körperbau.
    Auf dem Sofa, direkt neben Erna, saß ein ungefähr dreißig Jahre alter Mann.
    »Und das ist unser Sorgenkind.«
    Mehr sagte ihre Freundin nicht. Kein Name. Luise wagte nicht zu fragen. Der Angesprochene zog die Augenbrauen leicht an, als würde er einen spöttischen Blick auf Luise werfen. Dabei wollte er nur die Panik verbergen, die sie in seinen weit geöffneten Pupillen deutlich erkannte.
    Kurt wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
    »Habt ihr nichts Ordentliches zu trinken hier? Das wird in nächster Zeit auch schwierig. Ihr wisst doch, ich mag keinen Wodka.«
    Es dauerte eine Weile, bis die ausgelassene Heiterkeit abebbte und Libertas fragte: »Hast du denn keine Möglichkeit mehr zu fliehen?«
    »Dafür ist es zu spät. Hätte ich geahnt, dass sie mich alten Säckel noch einberufen, hätte ich mir sicher irgendein Türchen offengehalten. Aber so ... Das Einzige, was mir übrig bleibt, ist, über die Köpfe unserer Genossen zu schießen.«
    Luise brauchte einen Moment, bis sie verstand. Hatte er Genossen gesagt? War dieser gut aussehende, charmante Künstler Kommunist? Ein Bolschewik? Sie traute sich nicht zu fragen. Sie traute sich nicht einmal, irgendein Wort in dieser Runde zu sagen. Sie kam sich klein und ungebildet vor.
    Der Ringer sprang auf.
    »Du kannst viel mehr tun! Erzähl deinen Kameraden an der Front die Wahrheit.«
    Er griff in die abgewetzte Aktentasche, die neben dem Ohrensessel stand, und zog einen zu einem winzigen Päckchen

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