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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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ein paar Jahren, als
Yanmei drei war, ist ihre Mutter gestorben. Einen schrecklichen Tod, vermute
ich. In manchen Fabriken dort herrschen unvorstellbare Arbeitsbedingungen. Was
die Arbeiter dort auf sich nehmen müssen, damit wir im Westen billige Waren
kaufen können. Yanmeis Mutter arbeitete in der Lackiererei einer Fabrik,
fünfzehn, sechzehn Stunden am Tag hat sie mit chemischen Lacken herumgesprüht
und die Dämpfe von giftigen Lösungsmitteln geatmet. Ohne ordentlichen
Arbeitsschutz - ohne Masken oder so etwas. Sie ist an Krebs gestorben. An einem
Gehirntumor.«
    »Wie entsetzlich«, lautete
mein hohler Kommentar, aber ein besserer fiel mir nicht ein. »Was wurde in der
Fabrik hergestellt?«
    »Zahnbürsten, soviel ich weiß.«
    Ich schaute Lian mit großen
Augen an, als sie das sagte. Hatte ich richtig gehört? »Zahnbürsten?«
    »Ja - billige Plastikzahnbürsten.
Ist das so verwunderlich?«
    Ich war in der Tat sprachlos.
    »Haben Zahnbürsten eine
besondere Bedeutung für Sie?«
    Langsam fand ich meine Stimme
wieder. »Ja, tatsächlich. Eine ganz besondere Bedeutung. Mehr noch - was Sie
mir gerade erzählt haben, die Geschichte von Yanmeis Mutter ... Ich finde das
erstaunlich. Unglaublich.«
    »Gar nichts daran ist
unglaublich. Diese Dinge passieren jeden Tag, in der Dritten Welt und woanders.
Leider verschließen wir die Augen davor.«
    »Nein, was ich so unglaublich
finde, ist die Bedeutung ... die persönliche Bedeutung, die es für mich hat.«
    »Aha. Erklären Sie mir das?«
    Ich holte tief Luft und
schüttelte den Kopf. »Es würde ... ich fürchte, das würde zu lange dauern.
Verstehen Sie, auf eine seltsame Weise hat so ziemlich alles, was mir in den
letzten Wochen zugestoßen ist, etwas mit Yanmei und ihrer Mutter zu tun. Aber
ich müsste Ihnen die ganze Geschichte erzählen, damit Sie es verstehen, und
damit würde ich Sie wahrscheinlich furchtbar langweilen ...«
    »Aber Sie müssen sie mir
erzählen. Sehen Sie.« Sie zeigte hinüber zu Yanmei und Jennifer, die fröhlich
von einem Ende des Pools zum anderen planschten. »Die Mädchen haben ihren Spaß.
Die bringe ich frühestens in einer Stunde von hier weg. Und ich habe nichts zum
Lesen dabei. Also erzählen Sie mir Ihre Geschichte. Ich möchte sie hören, und
wenn sie noch so lang und langweilig ist. Was sollte ich sonst tun?«
     
    Und so begann ich, ihr alles
zu erzählen, was mir widerfahren war, seit ich sie und Yanmei am Valentinstag
zum ersten Mal in dem Restaurant am Hafen von Sydney gesehen hatte. Es war
nicht leicht, den richtigen Anfang für die Geschichte zu finden, und ich
glaube, zuerst habe ich sie etwas verwirrt. Ich fing mit Alan Guest an, den
Idealen und Ambitionen, die er mit seiner kleinen Firma verwirklichen wollte,
weil ich dachte, wenn ich aus meinen jüngsten Erfahrungen etwas gelernt hatte,
dann war es die Lektion von der Grausamkeit dieser Welt: dass wir immer noch in
einer Zeit lebten, in der auch die wohlmeinendste und innovativste Organisation
von mächtigeren Kräften in die Knie gezwungen werden konnte. Aber dann dachte
ich, dass die eigentliche Bedeutung der Geschichte woanders lag und dass ich
vielmehr etwas über mich selbst begriffen (oder zu begreifen begonnen) hatte,
über mein eigenes Wesen und meine Probleme. Und so schaltete ich zwischen
diesen beiden Gedanken hin und her, und Lian wurde immer verwirrter, und
irgendwann bat sie mich, noch einmal von vorn zu beginnen, und einfach nur die
Geschichte zu erzählen, wie sie sich zugetragen hatte. Und als ich damit
anfing, fühlte sich das, was ich ihr erzählte, gar nicht mehr wie eine richtige
Geschichte an, sondern wie eine Folge zufälliger, unzusammenhängender Episoden:
Begegnungen vor allem, Begegnungen mit seltsamen und unerwarteten Personen,
die auf ihre kleine Weise in jüngster Zeit alle etwas dazu beigetragen hatten,
mein Leben in andere Bahnen zu lenken. Angefangen hatte es natürlich mit Lian
selber und mit Yanmei. Aber dann hatte es diesen ... ja, zuerst hatte es diesen
Mann am Eincheck-Schalter in Sydney gegeben, von dem ich ohne besonderen Grund
in die Premium-Economy-Class hochgestuft worden war. Danach war ich dem armen
Charlie Hayward begegnet, der auf dem Flug nach Singapur im Sitz neben mir
einen Herzschlag erlitten hatte. Und Poppy mit ihrem verborgenen Aufnahmegerät
und der Geschichte von Donald Crowhurst. Und dem Mann in dem Park in Watford,
der mir zuerst mein Mobiltelefon geklaut hatte und später noch einmal
zurückgekommen war und

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