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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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dort
ein, nachdem ich die erste Fähre vom Circular Quai nach Manly genommen hatte.
Vom Anleger in Manly bis nach Fairlight brauchte ich zu Fuß etwa eine
Viertelstunde. Der Himmel war grau und dick mit Regenwolken verquollen, aber
abgesehen davon lag eine feuchte, dichte Hitze in der Luft. Es war zweifellos
warm genug, um schwimmen zu gehen. Auf der Küstenpromenade liefen Dutzende von
schweißüberströmten Joggern an mir vorbei. Ich hatte mir vorgestellt, ich würde
nicht zu übersehen sein, mutterseelenallein dort sitzen und eine einsame,
verdächtig aussehende Gestalt am Strand abgeben, aber nein, der Strom der
Passanten versiegte nicht einen Moment. Es waren nicht nur Jogger, auch Leute,
die ihren Hund ausführten, Touristen und schlichte Morgenspaziergänger, die
sich in einem der Läden ihre Sonntagszeitung kauften. Ich fühlte mich gut
aufgehoben dort: Ich hatte das Gefühl, einer freundlichen, lockeren und
toleranten Gemeinschaft anzugehören.
    Drei Stunden sind allerdings
eine verdammt lange Zeit, wenn man allein auf einer Bank sitzt, aufs Meer
hinaus starrt und dabei sehnlichst auf jemanden wartet. Ich hatte mir eine
Ausgabe der Sun-Herald besorgt,
aber nach einer Stunde hatte ich sie durch. Und außer der Zeitung hatte ich nur
noch eine kleine Flasche Wasser dabei, und ich traute mich gar nicht, davon zu
trinken, weil ich fürchtete, mir dann eine Toilette suchen zu müssen. Der
Ausblick war atemberaubend: Am Ende des Sandstrands war ein
Salzwasser-Swimmingpool in den Fels geschlagen, ein schillerndes Rechteck
blaugrünen Wassers, und dahinter sah man das Meer, ruhig und grau an diesem Morgen,
ausgestreckt bis zum Horizont, getüpfelt mit Segelbooten, und noch dahinter,
weit in der Ferne, die fantastische Grenzenlosigkeit Sydneys. Man sollte
denken, dass man sich an so einem Ausblick nie sattsehen kann. Vielleicht wäre
ich bei anderer Gelegenheit, wenn ich die Ankunft der Chinesin und ihrer
Tochter nicht so herbeigesehnt hätte, den ganzen Tag auf dieser Bank sitzen
geblieben und hätte glücklich die Aussicht auf den Strand und das Wasser
genossen. Aber heute verlor dieses Panorama schnell seinen Reiz.
    Aber ich will euch nicht so
lange auf die Folter spannen. Sie kamen. Kurz nach Mittag. Die Chinesin, ihre
Tochter und ein anderes kleines Mädchen, etwa im selben Alter. Offenbar eine
Freundin der Tochter. Die drei gingen direkt hinter meiner Bank vorbei und dann
hinunter zum Strand, wo die Chinesin eine Picknickdecke auf dem Sand
ausbreitete und die Mädchen sich bis auf die Badeanzüge auszogen und
schnurstracks zu den Felsen hinüberliefen, um zu spielen. Die Chinesin - die
ein weißes T-Shirt und marineblaue, an den Fesseln ausgestellte Baumwollhosen
trug - setzte sich auf die Decke, schenkte sich aus einer Thermoskanne etwas
Heißes zum Trinken ein und schaute hinüber zum anderen Ende der Bucht.
    Das war meine Chance. Der
Augenblick war endlich da. Aber war ich tatsächlich dazu fähig? Konnte ich einfach
zu einer völlig fremden Frau hinübergehen, einer alleinstehenden Frau, die mit
ihrer Tochter und deren Freundin einen Nachmittag am Strand verbringen wollte,
und in ihre Welt, ihre Privatsphäre eindringen, unter einem dümmlichen Vorwand
wie: »Entschuldigen Sie - Sie kennen mich nicht, aber ... ?«
    Gerade wollte ich mir
eingestehen, dass ich letztlich doch nicht dazu fähig war, als plötzlich am
Swimmingpool jemand vor Schreck und Schmerz aufschrie.
    Ich schaute hinüber. Der
Schrei war von der Freundin des chinesischen Mädchens gekommen. Sie hatte
direkt am Rand des Swimmingpools gestanden, war über die Steinmauer balanciert,
aus dem Gleichgewicht geraten und ins Meer gestürzt. Instinktiv rannte ich los,
um ihr zu Hilfe zu kommen. Aus der anderen Richtung, vom Strand, wo sie auf
ihrer Picknickdecke gesessen hatte, kam die Chinesin herübergelaufen, und wir
beide erreichten im selben Moment die Unfallstelle.
    »Jenny!«, rief sie. »Jenny,
ist alles in Ordnung?«
    Das Wasser war hier sehr
flach, und Jenny stand jetzt aufrecht, das Gesicht tränenüberströmt. Der
Höhenunterschied von der Mauer zur Wasseroberfläche betrug anderthalb Meter, zu
hoch für das Mädchen, um aus eigener Kraft hochzuklettern. Ich streckte ihr
meine Hände entgegen.
    »Komm«, sagte ich, »halt dich
an mir fest. Ich zieh dich rauf.«
    Das kleine blonde Mädchen
ergriff meine beiden Hände, und ich hob ihren federleichten Körper auf den Rand
des Pools. Jetzt konnten wir sehen, dass ihr linkes Schienbein an den

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