Coelho,Paul
Meiner war früher einmal eine kleine Wohnung, danach auch ein Platz
in Los Angeles, und jetzt ist er hier. Ein geheiligter Winkel, in dem sich eine
Tür zum Himmel öffnet und den Himmel zu uns hereinlässt.«
Die beiden betrachteten Tooks heiligen Ort: Felsen, harter Boden, niedrige
Vegetation. Vielleicht waren hier nachts ein paar Schlangen und Koyoten unterwegs. Took wirkte
wie in Trance.
»Hier habe ich meinen Engel sehen
können, obwohl ich wusste, dass er überall ist, dass sein Gesicht das Gesicht
der Wüste ist, in der ich lebe, oder das der Stadt, in der ich achtzehn Jahre
lang gelebt habe.
Ich habe mit meinem Engel
gesprochen, weil ich an seine Existenz glaube. Weil ich die Hoffnung hatte, ihm
zu begegnen. Und weil ich ihn liebte.«
Paulo und Chris wagten nicht zu
fragen, worüber Took mit dem Engel geredet hatte.
Took fuhr
fort:
»Jeder Mensch kann mit vier Arten
von Wesen in der unsichtbaren Welt in Kontakt treten: den Elementargeistern,
den körperlosen Geistern, den Heiligen und den Engeln.
Mit den Elementargeistern - denen
des Feuers, der Erde, des Wassers und der Luft - nehmen wir über Rituale Kontakt
auf. Weil wir dazu neigen, uns die reinen Kräfte der Natur - Erdbeben, Blitze,
Vulkane - als Wesen vorzustellen, treten sie als Gnome, Sylphen, Salamander und
Undinen in Erscheinung; doch der Mensch kann die Macht der Elementargeister
nur nutzen. Er wird nie etwas von ihnen lernen.«
>Warum sagt er das?<, fragte
sich Paulo. >Hat er etwa vergessen, dass ich auch ein Meister der Magie
bin?<
Took fuhr mit
seiner Erklärung fort.
»Die körperlosen Geister sind
jene, die sich zwischen dem einen und dem anderen Leben hin- und herbewegen,
und wir treten über ein Medium mit ihnen in Kontakt. Einige sind große Meister
- aber wir können hier auf Erden alles lernen, was sie uns lehren können, weil
auch sie es hier gelernt haben. Wir sollten sie am besten ziehen lassen und
unseren eigenen Horizont betrachten, um hier die Weisheit zu finden, die auch
sie einst hier gefunden haben.«
>Paulo wird das alles bereits
wissen<, dachte Chris. Vermutlich erzählt Took das alles nur mir.<
Ja, Took sprach zu dieser Frau - ihretwegen war er hier. Paulo konnte er nichts
beibringen, denn der war zwanzig Jahre älter und erfahrener als er, und würde
er nur einmal richtig nachdenken, würde er selber herausfinden, wie er mit
seinem Engel sprechen konnte. Paulo war Schüler von J. - und was hatte Took nicht schon alles über J. gehört! Beim ersten Treffen
hatte er versucht, Paulo zum Reden zu bringen, aber die Frau hatte alles
durcheinander gebracht. Er bekam einfach nicht aus ihm heraus, welche
Techniken, Verfahren und Rituale J. benutzte.
Diese erste Begegnung hatte ihn
schwer enttäuscht. Er hatte Zweifel bekommen und gedacht, dass Paulo vielleicht
gar nicht J.s Schüler war. Oder dass sich J.
möglicherweise zum ersten Mal bei der Wahl eines Schülers geirrt hatte - und
dass, wenn es so war, die >Tradition< schon bald darüber im Bilde wäre.
Dennoch hatte er in der Nacht nach ihrer ersten Begegnung von seinem
Schutzengel geträumt.
Und sein Engel hatte ihn gebeten,
die Frau in den Weg der Magie einzuführen. Nur einzuführen. Ihr Mann würde den
Rest übernehmen.
Im Traum hatte er seinem Engel
geantwortet, dass er ihr bereits beigebracht habe, was das >zweite
Bewusstsein< sei, und sie auch aufgefordert habe, zum Horizont zu blicken.
Der Engel hatte erwidert, er solle auf den Mann achten, aber sich um die Frau
kümmern. Und dann war er verschwunden.
Took hatte
gelernt, sich diszipliniert zu verhalten. Jetzt tat er, worum sein Engel ihn
gebeten hatte - und er hoffte, dass dies oben gesehen wurde.
»Nach den körperlosen Wesen«, nahm
er seinen Faden wieder auf, »kommen die Heiligen. Sie sind die wahren Meister.
Sie haben einst bei uns gelebt und sind jetzt im Licht. Die große Lehre der
Heiligen ist ihr Leben hier auf Erden. Darin ist alles enthalten, was wir
wissen müssen, es reicht, ihnen nachzueifern.«
»Und wie rufen wir die Heiligen
an?«, fragte Chris.
»Durch das Gebet«, antwortete
Paulo an Tooks Stelle. Er war nicht eifersüchtig -
obwohl ihm klar war, dass der Amerikaner vor Chris glänzen wollte.
>Er achtet die 'Tradition'<,
dachte er. >Er wird meine Frau dazu benutzen, mich etwas zu lehren. Aber
warum spricht er nur über so elementare Dinge, warum wiederholt er, was ich
längst weiß?<
»Wir rufen die Heiligen durch das
ständige Gebet an«, fuhr Paulo fort. »Und wenn sie dann in
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