Coelho,Paul
die
nicht schlafen konnte und deshalb durch die verlassenen Straßen von Ajo wanderte und Gott darum bat, ein Wunder zu tun, weil
der Mann, den sie liebte, unbedingt einen Engel sehen musste. Es war ihr bang
ums Herz, banger denn je. Vielleicht wäre ihr ein zweifelnder Paulo lieber
gewesen, ein Paulo, der seinen Glauben verloren zu haben schien. Wenn der Engel
erschien, war es gut; falls nicht, konnte er immer Vahalla die Schuld geben, es ihm nicht richtig beigebracht zu haben. So würde dies nur
eine von vielen anderen bitteren Lektionen sein, die Gott die Menschen gelehrt
hat, als er die Pforten des Paradieses schloss: die Enttäuschung.
Doch so war es nicht: Jetzt hatte
sie einen Mann vor sich, der sein Leben auf die Gewissheit setzte, dass man
Engel sehen konnte. Und seine einzige Garantie war das Wort einer Frau, die zu
Pferd durch die Wüste zog und von neuen Welten sprach, die kurz bevorstanden.
Vielleicht hatte Vahalla nie Engel gesehen. Oder vielleicht galt das, was
für sie galt, nicht für andere - Paulo hatte das auf dem Platz gesagt! Sollte
er seinen eigenen Worten keinen Glauben schenken?
Chris' Herz zog sich immer mehr
zusammen, als sie die leuchtenden Augen ihres Mannes sah.
In diesem Augenblick leuchtete
sein ganzes Gesicht.
»Licht!«, rief Paulo. »Licht!«
Sie drehte sich um. Am Horizont,
nahe der Stelle, an der der erste Stern erschienen war, strahlten drei Lichter
am Himmel.
»Licht!«, wiederholte er noch
einmal. »Der Engel!«
Chris verspürte den übermächtigen
Wunsch, niederzuknien und zu danken, weil ihr Gebet erhört worden war und Gott
das Heer seiner Engel schickte.
Paulos Augen füllten sich mit
Tränen. Das Wunder war geschehen, er hatte richtig gewettet.
Dann hörte man links einen Knall
und einen weiteren über ihrem Kopf. Fünf, sechs strahlende Lichter standen am
Himmel, die ganze Wüste war erleuchtet.
Einen Augenblick lang war Chris
sprachlos: Sah sie etwa auch ihren Engel? Der Lärm wurde immer stärker, es
knallte links von ihnen, über ihren Köpfen, wahnsinnige Donnerschläge, die von
allen Seiten kamen - und sich zu der Stelle bewegten, an der die Lichter sich
befanden.
Die Walküren! Die wahren Walküren,
die Töchter Wotans, die über den Himmel ritten und die Krieger mit sich
nahmen! Chris hielt sich voller Angst die Ohren zu.
Sie sah, dass Paulo es ebenfalls
tat - und seine Augen leuchteten nicht mehr wie vorher.
Riesige Feuerbälle entstanden am
Horizont der Wüste, während sie spürten, wie die Erde unter ihren Füßen bebte.
Donnerschläge am Himmel und auf der Erde.
»Lass uns gehen!«, sagte sie.
»Es ist nicht gefährlich«,
antwortete er. »Sie sind weit weg, sehr weit weg. Militärflugzeuge.«
Doch die Überschalljäger
durchbrachen mit ungeheurem Lärm ganz in ihrer Nähe die Schallmauer.
Die beiden fielen einander in die
Arme, blieben lange so stehen, schauten fasziniert und verschreckt diesem makabren
Schauspiel zu. Es gab keine Blitze vor den Donnerschlägen, aber sie wussten
nun, worum es sich handelte - denn es gab Feuerbälle am Horizont, und diese
grünen Lichter (jetzt waren es mehr als zehn) fielen langsam vom Himmel
herunter, beleuchteten die ganze Wüste, damit niemand, wirklich niemand sich
verstecken konnte.
»Das ist nur ein Kampftraining«,
versuchte er, sie zu beruhigen. »Ein Kampfgeschwader der Luftwaffe. Es gibt hier
viele Basen.
Ich hatte die Basen bereits auf
der Landkarte gesehen«, fuhr Paulo fort und musste schreien, damit Chris ihn
hören konnte. »Aber ich wollte lieber glauben, dass es Engel waren.«
>Es sind Werkzeuge der
Engel<, dachte sie. >Todesengel.<
Das gelbe Leuchten der am Horizont
fallenden Bomben vermischte sich mit den grünen Lichtern, die langsam an
Fallschirmen herunterschwebten, damit unten alles sichtbar war und damit die
Flugzeuge beim Abwerfen ihrer tödlichen Last keine Fehler machten.
Die Übung dauerte fast eine halbe
Stunde. Und so unvermittelt, wie die Donnerschläge gekommen waren, verstummten
sie, und Stille kehrte wieder in der Wüste ein. Die letzten grünen Lichter
erreichten den Boden und erloschen. Jetzt konnte man wieder die Sterne am Himmel
sehen, und der Boden bebte nicht mehr.
Paulo atmete tief durch. Er
schloss die Augen und dachte mit aller Kraft: >Ich habe die Wette gewonnen.
Ich darf nicht daran zweifeln, dass ich die Wette gewonnen habe.< Sein
>zweites Bewusstsein< war wieder zurück und sagte, dem sei nicht so, es
sei alles nur Einbildung, sein Engel habe sein Gesicht
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