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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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hockte er, rauchend, zuhörend. Zwei Seelen, seine und
meine, verflochten, hingerissen. Wie Insekten, mit den hinteren Enden sich
paarend, in entgegengesetzte Richtungen blickend, reglos, bis auf ein Pulsieren
des Thorax, das fälschlich für bloßes Atmen gehalten werden könnte.
Reglosigkeit und Ekstase.
    Er
schnippte seine Zigarette weg. Zerstiebende Funken, als sie auf den Boden traf,
dann Dunkelheit.
    Dieses
Haus, dachte ich. Diese Welt. Dieses Haus, diese Musik. Dieses.
     
     
    »Das ist
meine Tochter«, sagte ich. »Die, von der ich Ihnen erzählte, die in Amerika
lebt.« Und durch seine Augen betrachtete er Dich auf der Fotografie. Das
liebenswürdige Gesicht einer Frau in den Dreißigern, lächelnd, vor einem Feld
von Grün, die Hand ans Haar hebend, das im Wind weht. Selbstsicher. Das hast Du
jetzt: das Aussehen einer Frau, die sich gefunden hat.
    »Das sind
ihre Kinder.«
    Zwei kleine
Jungen mit Mützen auf und in Jacken und Stiefeln und Handschuhen, die neben
einem Schneemann strammstehen und auf das Klicken des Verschlusses warten.
    Eine Pause. Wir sitzen am
Küchentisch. Ich hatte Tee vor ihn hingestellt und Marie-Kekse. Marie-Kekse:
Nahrung für die Alten, die Zahnlosen.
    »Ich möchte, daß Sie etwas
für mich tun, wenn es soweit ist. Es gibt ein paar Papiere, die ich meiner
Tochter schicken möchte. Aber nach dem Ereignis. Das ist der wichtige Punkt.
Deswegen kann ich sie nicht selber abschicken. Alles andere werde ich tun. Ich
werde sie zu einem Paket verpacken und die richtigen Briefmarken draufkleben.
Sie brauchen das Paket im Postamt nur über den Tresen zu reichen, das ist
alles. Werden Sie das tun für mich?«
    Eine
Bewegung des Unbehagens.
    »Ich würde
Sie nicht um den Gefallen bitten, wenn ich mir anders helfen könnte. Aber ich
sehe sonst keine Möglichkeit. Ich werde nicht mehr da sein.«
    »Können Sie
nicht wen andern bitten?« sagte er.
    »Ja, kann ich. Aber ich
bitte Sie. Es sind private Papiere, private Briefe. Sie sind die Erbschaft
meiner Tochter. Sie sind alles, was ich ihr geben kann, alles, was sie annehmen
wird aus diesem Land. Ich möchte nicht, daß sie von jemand anderm geöffnet und
gelesen werden.«
    Private Papiere. Diese
Papiere, Worte, die Du entweder jetzt liest oder nie. Werden sie Dich
erreichen? Haben sie Dich erreicht? Zwei Arten, dieselbe Frage zu stellen, eine
Frage, auf die ich nie die Antwort wissen werde, nie. Für mich wird dieser
Brief für immer eine den Wellen übergebene Botschaft sein: Post in einer
Flasche mit den Briefmarken der Republik von Südafrika darauf, und Deinem
Namen.
    »Ich weiß nicht«, sagte der
Mann, der Bote, mit seinem Löffel spielend.
    Er will mir
nichts versprechen. Und selbst wenn er es verspricht, wird er am Ende doch tun,
was ihm paßt. Letzte Anweisungen, ihre Ausführung nicht erzwingbar. Denn die
Toten sind keine Menschen. Das ist das Gesetz: alle Verträge werden nichtig.
Die Toten können nicht betrogen werden, nicht verraten werden, es sei denn, man
trägt sie mit sich im Herzen und begeht das Verbrechen dort.
    »Macht
nichts«, sagte ich. »Ich hatte auch daran gedacht, Sie hereinzubitten und die
Katzen zu füttern. Aber ich werde andere Vorkehrungen treffen.«
    Welche
anderen Vorkehrungen? In Ägypten wurden Katzen mit ihren toten Herren
eingemauert. Ist es das, was ich will: Pfoten hin und her, und gelbe Augen,
nach einem Ausgang aus der dunklen Höhle suchend?
    »Ich werde sie abschaffen
müssen«, sagte ich. »Sie sind zu alt für ein neues Zuhause.«
    Wie Wasser gegen einen
Felsen, so schlugen meine Worte gegen sein Schweigen.
    »Irgendwas muß ich machen
mit ihnen«, sagte ich. »An meiner Stelle würden Sie genauso empfinden.«
    Er
schüttelte den Kopf. Nicht wahr. Wahrhaftig, nicht wahr. Irgendwann in einer
Winternacht, früher oder später, wenn das künstliche Feuer in seinen Adern nicht
mehr heiß genug ist, um ihn zu erhalten, wird er umkommen. Er wird in einer
Toreinfahrt sterben oder in einem Durchgang, die Arme um die Brust geschlungen.
Man wird ihn finden, mit diesem Hund an seiner Seite, oder einem anderen Hund,
und der Hund wird wimmern und ihm das Gesicht lecken. Man wird ihn wegkarren,
und der Hund wird auf der Straße zurückgelassen werden, und damit hat sich’s
dann. Keine Vorkehrungen, keine Hinterlassenschaft, kein Mausoleum.
    »Ich bring
Ihnen das Paket zur Post«, sagte er.

 
II
     
     
     
    Florence
ist zurück und hat nicht nur die zwei kleinen Mädchen mitgebracht, sondern auch
ihren

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