Collection Baccara Band 325 (German Edition)
einen Wunsch zugeben. Sie wollte, dass John ebenfalls von ihren Fähigkeiten wusste – und sie anerkannte. Eigentlich war es völlig untypisch für sie, so großen Wert darauf zu legen. Was sagte das über sie aus? War es ein Zeichen für eine neu erlangte Reife … oder für tiefe Unsicherheit?
Sie wusste, dass John direkt hinter ihr war, als sie ihren Arbeitsplatz erreichte, auch wenn seine Schritte kaum zu hören waren. Es kam ihr vor, als würde er sich an sie heranschleichen. Wie ein geschicktes, raffiniertes Raubtier. Raffiniert – das war auch der Blumenstrauß mit der Karte gewesen, auf der nur seine Telefonnummer gestanden hatte. Ein anderes Beispiel war, wie er es geschafft hatte, sie während des Frühlingsballs in den Konferenzraum zu locken.
Die Orchideen, die er ihr geschickt hatte, sahen noch immer so frisch aus wie am ersten Tag. Die Vase quoll förmlich über vor lauter Farbenpracht. Scarlet bemerkte, wie Johns Blick an den Blumen hängen blieb.
Sie ging einen Stapel Blätter durch, bis sie gefunden hatte, was sie ihm geben wollte.
„Danke“, sagte er und steckte das Papier in seine Aktenmappe. „Ich melde mich jeweils, wenn ich mit einem Kunden gesprochen habe.“
Dann ging er. Einfach so. Er wartete nicht, dass sie die Verabredung bestätigte, obwohl er sie eben noch danach gefragt hatte. Was sollte das?
Etliche Möglichkeiten gingen ihr durch den Kopf, wie sie ihn für sein Verhalten bestrafen könnte. Hatte er ihr Date vergessen oder spielte er jetzt etwa mit ihr? Vielleicht gefiel es ihm ja nicht, dass er auf unbestimmte Zeit mit ihr an diesem Projekt zusammenarbeiten musste. Jeder andere Mann hätte …
Scarlet hielt inne und setzte sich, stützte die Ellbogen auf und ließ das Kinn auf ihre gefalteten Hände sinken. John war nicht so wie jeder andere Mann, und genau das war das Problem.
Sie war daran gewöhnt, in einer Beziehung das Sagen zu haben. John hatte sie bisher aus freien Stücken die Entscheidungen überlassen – oder zumindest hatte sie das gedacht. Tatsache war jedoch, dass er sich überhaupt nichts sagen ließ.
Um fünf Uhr machte sie sich auf den Weg zu den Aufzügen, als Jessie nach ihr rief und mit einem Luftballon in der Hand zu ihr gelaufen kam. „Der wurde gerade für Sie abgegeben. Ohne Karte, aber der Kurier hat gesagt, der Ballon sei für Sie.“
Scarlet entdeckte einen kleinen Zettel im Ballon. Wer der Absender war, wusste sie schon jetzt.
Die Frage war, was auf dem Zettel stand.
„Danke“, sagte sie zu Jessie und nahm den Ballon entgegen. Ohne die offensichtliche Neugier der jungen Frau zu stillen, betrat sie den Aufzug. „Dann bis morgen.“
Sie ging die Park Avenue entlang, die Schnur des Ballons hatte sie um ihr Handgelenk gebunden. Während er sich über ihrem Kopf hin und her bewegte, musste sie lächeln, was viele Passanten dazu veranlasste, das Lächeln zu erwidern. Es nieselte an diesem Frühlingstag, dennoch hatte sie das Gefühl, als würde die Sonne scheinen.
Der Mann lernte schnell, das musste sie ihm zugestehen. Er hätte noch im Büro mit ihr reden oder später anrufen können, stattdessen schickte er ihr einen Luftballon. Sehr fantasievoll.
Sie winkte ein Taxi heran und hatte Glück, schnell ein freies zu erwischen. Am Stadthaus angekommen, steuerte sie die Zufahrt zur Tiefgarage an, um zu ihrem persönlichen Hauseingang zu gelangen. Doch dann hörte sie, dass jemand gegen eine Fensterscheibe klopfte, und sie entdeckte ihre Großmutter, die ihr zuwinkte und ihr ein Zeichen gab, durch die Vordertür ins Haus zu kommen.
Gran hielt sich nur noch selten in der Stadt auf, außer wenn sie sich von einem Kaufrausch mitreißen ließ, und dann sorgte sie immer dafür, dass Scarlet sie begleitete. Es war jedes Mal ein Erlebnis.
Verwundert darüber, dass Gran ihr Kommen nicht angekündigt hatte, ging Scarlet die Treppe zur Vordertür hinauf und betrat das Haus. Gleich im Foyer stand ein glänzender Flügel. Wenn jemand auf ihm spielte, konnte man noch im obersten Stockwerk jede Note hören.
„Was machst du hier?“, fragte sie ihre Großmutter, als sie sich zur Begrüßung umarmten.
„Dein Großvater und ich haben Karten für die Oper. Wir sind früher hergekommen, damit Patrick noch im Büro vorbeischauen kann.“ Sie lächelte und deutete auf den Ballon. „Es gibt einen besonderen Anlass dafür, richtig?“
„Was? Ach so. Die hat jemand auf der Straße verteilt. Irgendeine Werbeaktion.“
Maeve sah sie mit erstaunter Miene an.
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