Collector’s Pack
Oberschenkel. Jabos Problem waren sein Mangel an Respekt und seine ständige Gereiztheit. Und er ging keinem Kampf aus dem Weg, was bei Straßen- und Kneipenschlägereien durchaus ein Vorteil sein konnte, wie Ryan sich aus eigener Erfahrung erinnerte. Während der jahrelangen Vorbereitung auf ihre Mission war Jabo zu seinem bestem Freund geworden.
Maria und Ai hatten sich in den Schalensitzen aufgerichtet und schauten sich benommen um. Nur Proctor war noch nicht erwacht; er lag noch immer reglos in der Kryo-Kapsel.
Mit einem Mal erkannte Ryan, was ihn unterbewusst die ganze Zeit beschäftigt hatte: Hier stimmte etwas nicht, stimmte ganz und gar nicht. Die Notbeleuchtung, das frühzeitige Öffnen der Kryo-Kapseln, der ausgebliebene Routinecheck … das alles konnte nur einen Grund haben. Wenn er mit seiner Vermutung recht hatte, steckten sie in ernsten Schwierigkeiten.
Ryan sprang vom Schalensitz auf und setzte sich an das Kontrollpult. Sämtliche Lichter und Anzeigen waren erloschen. Ryans Finger huschten über die Tastatur.
Nichts. Alles war wie tot.
Das Schiff hatte einen totalen Blackout.
Ryan durchlief es eiskalt. Ein Energieverlust dieser Art hätte gar nicht vorkommen dürfen. Die Neutronenenergiezelle, die das Schiff versorgte, war im Grunde eine doppelte Hin- und Rückfahrtkarte. Die Kraft, die von ihr ausging, hätte ausreichen müssen, um gleich zwei Mal von der Erde hierher und wieder zurückzuspringen.
Ryan kauerte sich vor die längliche Röhre, in der die Neutronenenergiezelle gelagert war. Die Zelle war kaum größer als ein Mobiltelefon. Normalerweise waren gelbe Lichtblitze darin zu sehen, die sich wie das dichte Astwerk eines Baumes im Inneren der Röhre verzweigten. Doch nun herrschte in der Zelle nur schwarze Leere.
In der gesamten Vorbereitungszeit war dieses Problem nicht aufgetreten. Natürlich gab es eine Möglichkeit, den Mechanismus zu reaktivieren und die Energiezelle – wenn sie Glück hatten – wiederzubeleben. Das Problem war allerdings, dass die Zelle nur von zwei Crewmitgliedern gleichzeitig geöffnet werden konnte. Als Commander verfügte Ryan über einen der beiden Zugangscodes, den anderen besaß der wissenschaftliche Leiter der Mission, Dr. Gabriel Proctor.
Ryan fragte sich, warum Proctor noch immer nicht aufgewacht war. Er brauchte ihn. Ohne Energie blieb ihnen maximal eine halbe Stunde, bis der Sauerstoffvorrat aufgebraucht war und sie alle jämmerlich erstickten.
Ryan trat an die Kryo-Kapsel heran. Proctor lag regungslos vor ihm. Er war ein schlanker, gut eins neunzig großer, durchtrainierter Mann. Sein Kopf war haarlos, sein Alter schwer zu schätzen. Seine Augen, von denen Ryan wusste, dass sie stahlblau waren, waren geschlossen.
Ryan öffnete die Glasabdeckung der Kryo-Kapsel und berührte Proctor. Seine Haut war eiskalt. Ryan tastete nach dem Puls und erschrak. Proctors Herzschlag war kaum noch zu spüren, und die Atmung ging flach. Unter einer Abdeckung an der Seite der Kapsel lag eine kleine Anzeige, die über eine Notstromversorgung verfügte und die Körperfunktionen des Kryo-Schlafenden überwachte.
Ryan öffnete die Klappe und starrte ungläubig auf die Anzeige. Die Herzlinie auf dem Schirm war flach und zeigte kaum noch Ausschläge.
Es gab keinen Zweifel.
Gabriel Proctor lag im Sterben.
Ryan musste handeln. Schnell. Denn ohne Proctor wären sie hier gestrandet und würden nicht lange überleben.
Ryan bemerkte, wie der riesige Jabo sich hinter ihn schob, und atmete auf. Gemeinsam würden sie eine Lösung finden. Sie hatten sich schon während der Ausbildung als unschlagbares Team erwiesen.
Ryan drehte sich um.
»Jabo, wir haben nicht viel Zeit, denn …«, begann er und hielt inne.
Jabo starrte ihn mit verwirrter Miene an. »Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte er. »Wer sind Sie überhaupt?«
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