Collins, Suzanne
ihren Augen.
»Effie«, sage ich.
»Hallo, Katniss.« Sie steht auf und küsst mich auf die
Wange, als wäre seit unserer letzten Begegnung am Abend vor dem Jubel-Jubiläum
nichts vorgefallen. »Tja, sieht aus, als hätten wir wieder einen großen,
großen, großen Tag vor uns. Fangt ihr doch schon mit der Vorbereitung an, ich
gehe auf einen Sprung rüber und kontrolliere die Arrangements, ja?«
»Okay«, sage ich zu ihrem Rücken.
»Es heißt, Plutarch und Haymitch hätten mit allen Mitteln
dafür gekämpft, dass sie am Leben bleibt«, flüstert mir Venia zu. »Nach deiner
Flucht war sie als Mitwisserin eingesperrt worden, das hat sie gerettet.«
Effie Trinket eine Rebellin. Das ist ziemlich weit
hergeholt. Aber ich möchte nicht, dass Coin sie umbringt, deshalb nehme ich mir
vor, sie als solche darzustellen, falls danach gefragt wird. »So gesehen, war
es auch gut, dass Plutarch euch drei gekidnappt hat.«
»Wir sind das einzige Vorbereitungsteam, das noch am Leben
ist. Auch alle Stylisten vom Jubel-Jubiläum sind tot«, sagt Venia. Sie sagt
nicht, wer sie getötet hat. Ich frage mich langsam, ob das überhaupt noch eine
Rolle spielt. Behutsam nimmt sie meine vernarbte Hand und inspiziert sie. »Hm,
was meinst du? Die Nägel rot oder lieber rabenschwarz?«
Flavius vollbringt ein Wunder mit meinem Haar, zaubert
einen gleichmäßigen Pony und überdeckt mit ein paar der längeren Locken die
kahlen Stellen am Hinterkopf. Mein von den Flammen verschontes Gesicht birgt
nur die üblichen Herausforderungen. Sobald ich in Cinnas Spotttölpelkostüm
geschlüpft bin, sieht man nur noch die Narben an Hals, Unterarmen und Händen.
Octavia befestigt die Spotttölpelbrosche über meinem Herzen, und wir treten
einen Schritt zurück, um mich im Spiegel anzuschauen. Ich kann kaum glauben,
wie normal ich dank ihrer äußerlich aussehe, wo ich innerlich doch eine Wüste
bin.
Es klopft und Gale kommt herein. »Hast du kurz Zeit?«,
fragt er mich. Im Spiegel betrachte ich mein Vorbereitungsteam. Sie sind
unschlüssig, wohin sie gehen sollen, deshalb laufen sie ein paarmal ineinander
und schließen sich dann im Badezimmer ein. Gale tritt hinter mich und wir
mustern das Spiegelbild des anderen. Ich suche nach etwas, woran ich mich
festhalten kann, etwas von dem Mädchen und dem Jungen, die sich vor fünf Jahren
zufällig im Wald getroffen haben und unzertrennlich wurden. Ich frage mich, was
passiert wäre, wenn die Hungerspiele dieses Mädchen nicht weggeholt hätten.
Hätte es sich in den Jungen verliebt, ihn vielleicht sogar geheiratet? Wären
sie irgendwann später, wenn die Geschwister groß geworden wären, in den Wald
geflohen und hätten Distrikt 12 für immer hinter sich gelassen? Wären sie
glücklich geworden in der Wildnis oder hätte sich die dunkle, tiefe Trauer
zwischen ihnen auch ohne Zutun des Kapitols ausgebreitet?
»Ich habe dir was mitgebracht.« Gale hält einen Köcher
hoch. Ich nehme ihn und sehe, dass er nur einen einzigen, gewöhnlichen Pfeil
enthält. »Es soll ein symbolischer Akt sein. Du feuerst den letzten Schuss
dieses Krieges ab.«
»Und wenn ich danebenschieße?«, frage ich. »Holt Coin den
Pfeil wieder und bringt ihn mir? Oder schießt sie Snow dann einfach selbst in
den Kopf?«
»Du wirst nicht danebenschießen.« Gale hängt mir den Köcher
um die Schulter.
Wir stehen uns gegenüber, ohne uns in die Augen zu
schauen. »Du hast mich nicht in der Krankenstation besucht.« Er antwortet
nicht, deshalb spreche ich es irgendwann einfach aus. »War das deine Bombe?«
»Ich weiß nicht. Und Beetee auch nicht«, sagt er. »Spielt
das eine Rolle? Du wirst sowieso immer daran denken.«
Er wartet darauf, dass ich es abstreite; ich würde es gern
abstreiten, aber es ist die Wahrheit. Selbst jetzt kann ich den Blitz sehen,
der sie erfasst, kann die Hitze der Flammen fühlen. Und es wird mir nie mehr
möglich sein, diesen Augenblick von Gale zu lösen. Mein Schweigen ist meine
Antwort.
»Ich hatte es mir fest vorgenommen. Auf deine Familie aufzupassen«,
sagt er. »Nicht danebenschießen, okay?« Er berührt meine Wange und geht. Ich
möchte ihn zurückrufen und ihm sagen, dass ich mich geirrt habe. Dass ich einen
Weg finden werde, wie ich meinen Frieden mit dieser Sache mache. Indem ich mich
an die Umstände erinnere, unter denen er die Bombe schuf. Meine eigenen
unentschuldbaren Verbrechen bedenke. Herauszufinden versuche, wer die
Fallschirme wirklich abgeworfen hat. Beweise, dass es nicht die
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