Collins, Suzanne
Zwischen den einzelnen Aufnahmen werden kurze Studio-Clips
eingespielt, in denen Gale, Boggs und Cressida den Vorfall erläutern. Es ist
kaum auszuhalten, meinen Empfang im Lazarett von Distrikt 8 anzusehen, mit dem
Wissen, was gleich kommt. Als die Bomben auf das Dach niedergehen, vergrabe ich
mein Gesicht im Kopfkissen und schaue erst am Schluss wieder hoch. Da sind alle
Opfer tot und ich bin noch einmal zu sehen.
Wenigstens klatscht und jubelt Finnick nicht, als der Film
zu Ende ist. Er sagt nur: »Die Leute sollen wissen, was passiert ist. Und jetzt
wissen sie es.«
»Komm, wir schalten aus, bevor sie es noch mal zeigen«,
sage ich. Doch als er nach der Fernbedienung greift, rufe ich: »Warte mal!« Das
Kapitol strahlt eine Sondersendung aus und irgendetwas daran kommt mir bekannt
vor. Ja, das ist Caesar Flickerman. Und ich ahne schon, wen er zu Gast hat.
Ich bin entsetzt, wie sehr Peeta sich verändert hat. Der
gesunde Junge mit dem klaren Blick, den ich noch vor wenigen Tagen gesehen
habe, hat mindestens fünf Kilo abgenommen. Seine Hände zittern nervös. Er wirkt
immer noch gepflegt. Aber unter dem Make-up, das die Ringe unter seinen Augen
nicht kaschieren kann, und den eleganten Kleidern steckt ein schwer
angeschlagener Mensch. Man sieht, dass ihm jede Bewegung Schmerzen bereitet.
Meine Gedanken rasen, ich versuche mir einen Reim darauf
zu machen. Ich habe ihn doch neulich erst gesehen! Vor vier - nein, fünf Tagen.
Wie konnte sein Zustand sich so schnell verschlechtern? Was können sie ihm in
so kurzer Zeit angetan haben? Auf einmal kapiere ich es. Ich lasse sein erstes
Interview mit Caesar noch einmal Revue passieren und überlege, ob es einen
Hinweis auf den Zeitpunkt der Aufnahme gibt. Nein. Theoretisch kann das
Interview ein oder zwei Tage nachdem ich die Arena gesprengt habe, geführt
worden sein, und seitdem können sie ihm alles Mögliche angetan haben. »Oh,
Peeta ...«, flüstere ich.
Nachdem Caesar und Peeta ein paar Belanglosigkeiten ausgetauscht
haben, kommt Caesar darauf zu sprechen, dass ich angeblich in Propos für die
Distrikte auftrete.
»Offenbar benutzen sie Katniss«, sagt Peeta, »um die Rebellen
anzustacheln. Ich bezweifle, dass sie überhaupt weiß, was im Krieg genau vor
sich geht. Was da auf dem Spiel steht.«
»Möchtest du ihr irgendetwas mitteilen?«, fragt Caesar.
»Ja«, sagt Peeta. Er schaut genau in die Kamera, genau in
meine Augen. »Sei nicht dumm, Katniss! Gebrauch deinen Verstand! Sie wollen
dich als Waffe einsetzen, um die Menschheit zu zerstören. Wenn du wirklich
Einfluss hast, nutze ihn, um diese Sache zu stoppen! Stopp den Krieg, bevor es
zu spät ist! Frag dich selbst, ob du den Leuten, für die du arbeitest, auch
wirklich trauen kannst! Weißt du überhaupt, was vor sich geht? Wenn nicht ...
versuch, es herauszufinden.«
Der Bildschirm wird schwarz. Das Wappen von Panem. Ende
der Sendung.
Finnick greift zur Fernbedienung und schaltet das Gerät
aus. Gleich werden Leute kommen, um die Wirkung von Peetas schlechter
Verfassung und dem, was er gesagt hat, auf mich zu entschärfen. Ich werde mich
von seinen Worten distanzieren müssen. Dabei stimmt es, ich traue den Rebellen,
Plutarch und Coin wirklich nicht. Ich weiß nicht genau, ob sie mir die Wahrheit
sagen. Und das werde ich nicht verbergen können. Schritte kommen näher.
Finnick packt mich an den Armen. »Wir haben das nicht gesehen.«
»Was?«, frage ich.
»Wir haben Peeta nicht gesehen. Nur den Propo über Distrikt
8. Dann haben wir den Fernseher ausgeschaltet, weil die Bilder dich so
mitgenommen haben. Klar?« Ich nicke. »Iss dein Abendessen auf!« Ich reiße mich
zusammen, und als Plutarch und Fulvia hereinkommen, esse ich gerade etwas Kohl
und Brot. Finnick spricht davon, wie gut Gale in dem Film rübergekommen sei.
Wir gratulieren ihnen zu dem Propo. Und lassen durchblicken, dass wir danach
sofort ausgeschaltet haben, weil die Eindrücke zu stark waren. Sie sehen
erleichtert aus. Sie glauben uns.
Niemand erwähnt Peeta.
Ich versuche zu schlafen, aber nachdem ich immer wieder
von entsetzlichen Albträumen geweckt werde, gebe ich auf. Wenn jemand kommt und
nach mir sieht, liege ich still da und atme möglichst gleichmäßig. Am Morgen
werde ich entlassen mit der Anweisung, es ruhig angehen zu lassen. Cressida
bittet mich, ein paar Sätze für einen neuen Spotttölpel-Propo zu sprechen. Beim
Mittagessen warte ich darauf, dass jemand Peetas Auftritt erwähnt, aber
niemand sagt etwas. Es ist
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