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Colombian Powder

Colombian Powder

Titel: Colombian Powder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone A. Siegler
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PROLOG
    Morgengrauen. Natürlich habe ich das Wort schon oft gehört – und mir nichts dabei gedacht. Jetzt, hier und heute, weiß ich um die Bedeutung dieses Begriffes besser Bescheid, mehr als mir lieb ist. Ich erlebe das Grauen am eigenen Leib, jeden Morgen, seit vielen Wochen, immer wieder. Das Schlagen der Gittertüren, begleitet von harschen Kommandos verrät mir: Das Frühstück kommt, zwei Stück Graubrot und schaler Milchkaffee. Ich überwinde mich, öffne die Augen und sehe wie immer auf das Fenster – und die unvermeidlichen Gitter dahinter. Mir ist kalt, trotz Frühling. Es ist auch nicht die Temperatur, die mich frösteln lässt, es ist meine Situation und der Umstand, dass mein Prozesstermin immer näher rückt.

    Nahezu einhundert Tage bin ich nun in der JVA Berlin-Moabit in Haft. Bedauerlicherweise kann ich nicht behaupten schuldlos zu sein, auch nicht fahrlässig. Nein, das schwere Verbrechen, dessen man mich beschuldigt, habe ich begangen – ohne Wenn und Aber. Das wissen auch die Richter der Großen Strafkammer des Landgerichtes, dass ich keinesfalls unter die Rubrik des Kavaliersdeliktes falle, oder gar jener seltenen Spezies der Unschuldigen.
    Ich höre, wie sich der Schlüssel in meiner klinkenlosen Wohnungstür dreht. Schepperndes Geschirr und leise Stimmen. Apathisch nehme ich meine Ration in Empfang, und mit einem hörbaren »Wumm« schließt sich die in einem grässlichen Resedagrün gestrichene Tür. Ich habe mich wieder – allein. Zu einem kleinen Schluck des ekelhaften Gebräus überwinde ich mich, den Rest schütte ich in die Toilette, kein weiter Weg, denn mein Wohnklo ist nicht größer als zehn Quadratmeter. Mir die Zähne zu putzen, nicht einmal dazu kann ich mich überwinden. Zurück ins Bett und schlafen. Jede Stunde, die ich im Schlaf zubringe, stehle ich meinen Richtern – das Einzige, was man hier ungestraft anstellen kann. Schlafen und auf einen befreienden Traum hoffen –so döse ich langsam hinüber. Das matte Grün der Tür verfärbt sich in ein Saftiges wie frisch gemähter Rasen …
    Ich bin in Friesland – in dem bis vor Kurzem von mir so verachteten gutbürgerlichen Berumbur an der ostfriesischen Küste. Von dort kommen die Ostfriesenwitze ... und ich. Mein einziges Bestreben war vor noch nicht allzu langer Zeit, von dort zu entkommen. Mein Wunsch hat sich erfüllt. Jetzt bin ich in Berlin und würde viel dafür geben, die endlosen Felder und Wiesen meiner Heimat zu sehen.
    »Haie fressen keine Menschen!«
    Mit einem Schlag breitet sich dieser Satz in meinem Kopf aus. Dazu das Bild, wie ich als kleines Mädchen auf dem Schoß meiner Mutter sitze und mir in einem unhandlichen Wälzer Fotos von Haien ansehe. Schon als Kind hatte Mutter mir beigebracht, dass die Hysterie um diese Raubfische ziemlich übertrieben ist.
    »Ein Hai beißt Menschen nur aus Versehen, weil er sie mit Robben verwechselt«, behauptete die Mutter mit Überzeugung. Ob man das den Haien auch mitgeteilt hat? Dieses Thema berührte die Mutter vorsorglich nicht. Noch gut kann ich mich an die bunten Bilder in den eigenartigen Schulbüchern erinnern, in denen ich so hingebungsvoll mit meiner Schwester schmökerte.
    Als meine Mutter mit neunzehn meinen Vater kennenlernte, steckte sie gerade mitten im Biologie-Studium. Ein paar Bücher waren das Einzige, was sie aus dieser Zeit herüberretten konnte, denn als ich kurze Zeit später von innen an ihre Bauchdecke pochte, war das Studium passé und sie verschwendete keine Gedanken mehr an die banalen Dinge des Alltags und an nicht beißende Haifische. Ich war jetzt für lange Zeit der zentrale Pol in ihrem Dasein.
    Mittlerweile bin ich an den Kummer gewöhnt, der mich beim Gedanken an meine Mutter überfällt. Trotz der langen Zeit, die ich nun von zuhause fortgelaufen bin, ist sie mir deutlich in Erinnerung. Die Sorgenfalten auf ihrer Stirn, die sanften Augen, die so gut zu den dunklen, krausen Haaren passen. Negerhaare, wie mein Vater oft halb im Spaß, aber doch anmaßend anmerkt. Hier kommt die Herrenrasse durch, über deren Zugehörigkeit man sich heutzutage nur noch im engen Kreis brüstet. Aus diesem Grund trägt Mutter meistens kunstvolle Flechtfrisuren und verfügt über zahllose Hüte. Trotzdem ist sie eine Schönheit, zierlich, schlank, zartgliedrig und mit einer Haut wie Milch und Seide. Wenn ich früher in meinen Kinderbüchern über Elfen las, stellte ich mir solche Wesen immer als Abbilder meiner Mutter vor.
    Früher, ja früher.

    An Schlaf

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