Colombian Powder
wie andere Frauen heutzutage?«
Die Schultern meiner Mutter bebten, doch sie gab keine Antwort. Schließlich nickte ich, mehr zu mir selbst. Das ganze Leben lang von männlichen Familienmitgliedern umgeben, deren einziges Bestreben darin lag, Status und Besitz zu erhalten, wurden die Frauen der Familie zu nichts anderem gemacht als zu Anhängseln ihrer Ehemänner. Auch wenn meine Mutter vielleicht anders über die ganze Sache dachte, sie konnte und würde sich nie gegen die Entscheidung ihres Mannes auflehnen. Der Hausherr war sakrosant.
»Gnädige Frau, draußen ist ein Mann vom Schlachthof in Aurich!« Die alte Hannah betrat geschäftig die Küche.
»Schlachthof?« Mutter runzelte die Stirn. »Das muss ein Missverständnis sein. Sag ihm, wir haben kein Schlachtvieh abzugeben.«
Hannah nickte und trat den Rückzug an. Als sie sich an mir vorbei durch die Tür schob, sah sie verschämt zu Boden. Es sollte mich nicht weiter kümmern, dass mich seit der Auseinandersetzung alle auf dem Gut mieden. Die alte Hannah kannte ich jedoch seit frühester Kindheit, und es schmerzte, dass sogar sie sich auf Vaters Seite geschlagen hatte.
Ich hatte nur kurz mein Zimmer verlassen, um mir etwas zu Essen zu holen. Vater hatte die Anweisung gegeben, mich einstweilen von den Mahlzeiten auszuschließen, was mir ausgesprochen gelegen kam. So konnte ich wenigstens Gustav aus dem Weg gehen, der mich mit seinen sehnsüchtigen Blicken verfolgte. Untertags stand der arme Tropf – allmählich empfand ich Mitleid mit ihm - stundenlang unter meinem Fenster, in der Hoffnung, ich würde ihm öffnen – wie in einem schlechten Heimatfilm.
Auf dem Hof kam jetzt Radau auf. Ich hörte, wie Lastwagentüren geöffnet wurden und eine Ladebrücke fiel, und kurz darauf Gustavs aufgebrachte Stimme. Schnell bestrich ich mir zwei Schnitten Brot mit Butter, um der frostigen Atmosphäre in der Küche wieder entgehen zu können. Mutter stand über das Waschbecken gebeugt und schälte energisch Kartoffeln, ohne einmal aufzublicken.
Auf dem Weg nach oben fiel mein Blick durch die geöffnete Haustür ins Freie. Der Wagen des Abdeckers stand mitten im Hof, und ich wurde neugierig, was er bei uns zu suchen hatte. In der Tür prallte ich mit Gustav zusammen. Mit verzerrtem Gesicht starrte er auf mich herunter, sagte aber keinen Ton. Stattdessen hörte ich ein vertrautes Wiehern. Es gehörte meiner Stute Iris. Ich wunderte mich, wer sie aus ihrer Box geholt hatte, und ein furchtbarer Verdacht stieg in mir auf.
»Lass mich vorbei«, fauchte ich Gustav an, der mich daran hindern wollte, auf den Hof zu gelangen. Über seine Schulter konnte ich sehen, wie der Abdecker dabei war, Iris in den Transporter zu dirigieren. Mein Vater stand daneben und trieb ihn zur Eile an.
»Du Schwein!«, brüllte ich aus vollem Hals und begann wie wahnsinnig um mich zu schlagen. Endlich befreite ich mich aus Gustavs Umklammerung und stürzte hinaus. Doch ich kam zu spät. Der Fahrer beeilte sich, den LKW zu starten, und ich musste fassungslos mit ansehen, wie meine geliebte Iris zum Schlachthof fuhr.
Es änderte nichts, dass ich auf meinen Vater losging, der sich nur mit knapper Not meines Angriffs erwehren konnte. Genauso unerheblich war es, dass Gustav weinend auf der Türschwelle kauerte und mich um Verzeihung bat. Nachdem ich mich in Mutters Blumenbeet übergeben hatte, wusste ich, was zu tun war. Hier konnte ich nicht bleiben.
Der Verlust meiner geliebten Iris drohte mir das Herz zu sprengen. Mir war, als wühlte jemand mit einem glühenden Schürhaken in meinen Eingeweiden. Es war unerträglich, dass mein Vater, dem ich vertraut, den ich geachtet und verehrt hatte, mir, um seine Macht zu demonstrieren, so ein barbarisches Leid zufügte. Ich hasste ihn. Es war klar, ich konnte ihm nicht mehr unter die Augen treten. Nie wieder würde ich ein Wort mit diesem Scheusal reden.
Zwei Tage später stieg ich am Berliner Hauptbahnhof aus dem Zug, noch immer blind vor Wut und Trauer. Ich hatte mir geschworen, niemals wieder einen Fuß auf den Boden von Hochweden zu setzen.
»Allein wirst du es zu nichts bringen, Christina«, hatte Vater mir prophezeiend nachgerufen, als ich schwer bepackt in ein Taxi gestiegen war. Er würde sich noch wundern! In der Hauptstadt Deutschlands boten sich mir mit Sicherheit genügend Möglichkeiten, ihn damit Lügen zu strafen. Wild entschlossen, dem Schicksal die Stirn zu bieten, tat ich die ersten Schritte in ein neues Leben. Das erste Mal ganz auf
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