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Colombian Powder

Colombian Powder

Titel: Colombian Powder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone A. Siegler
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mich allein gestellt. Sie führten mich zu einem Geldautomaten, an dem ich ein Startkapital von meinem Konto beheben wollte. Kaum war die Karte im Schlitz verschwunden, erschien eine hämische Botschaft auf dem Bildschirm: Ihr Konto wurde gesperrt, bitte wenden Sie sich an Ihre Bank.
    Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, dass Vater selbst davor nicht zurückschreckte. Ganz seinem Naturell entsprechend hatte er darauf bestanden, auf sämtliche Girokonten der Familie einen Generalzugriff zu besitzen. Nun ließ er mich meinen Entschluss zu gehen so bitter wie möglich büßen.
    Das war der Moment, in dem meine Beherrschung endgültig zusammenbrach. Weinend sank ich neben dem Automaten zu Boden, schlang die Arme um die Knie und hoffte wie ein Kind, dass mich eine gute Fee an einen besseren Ort befördern möge. In diesem Zustand sprach mich schließlich ein junger Mann mit Irokesenhaarschnitt an. Er setzte sich einfach neben mich auf den Steinboden und hörte sich meine elende Geschichte an. Dann schleppte er mich in seine Wohngemeinschaft in einem heruntergekommenen Mietshaus. Es sah exakt so aus wie jene Häuser, die man in den Nachrichten im Zusammenhang mit Hausbesetzern zu sehen bekam.
    Trotzdem, noch heute bin ich den Leuten dort zu Dank verpflichtet, die mir ohne lange zu fragen ein Bett bereitstellten und ihre Lebensmittel mit mir teilten. Ich blieb und bewohnte künftig ein Zimmer mit Beate. Wie sehr bewunderte ich diese kesse Berlinerin, die, obwohl nur zwei Jahre älter als ich, genau wusste, was sie im Leben erreichen wollte. Und das war eine Menge. Wir hatten das gleiche Ziel und freundeten uns schnell an. Beate übernahm das Kommando, und ich ließ mich nur zu gerne von jemandem führen, der eine Ahnung zu haben schien, wie man es schaffen konnte. Tatsächlich dauerte es nur wenige Tage, bis Beate mir eine Stelle in dem Lebensmittelgeschäft beschaffte, in dem sie selbst arbeitete.

    * * * * *

    Der Tag meiner Verhandlung ist gekommen. Endlich – im Hinterkopf lauert dennoch der Wunsch, die Stunde der Wahrheit noch hinauszuschieben. Aber nach meinen Wünschen fragt hier niemand. Gleich nach dem Frühstück begleitet mich eine Beamtin zu den Duschen. Wenn wir Häftlinge uns schon das Gewissen nicht reinwaschen können, so sollen wir wenigstens so duften wie der unbescholtene Bürger draußen. Ich bekomme ein steifes Handtuch und eine Flasche Duschgel gereicht, Nuance Meeresbrise . Ausgerechnet! Ich habe fünf Minuten Zeit und schrubbe meinen Körper damit erbarmungslos. Schließ die Augen, lass die Erinnerung nicht zu! Bin ich tatsächlich schon so mürbe, um mich vom Aroma eines Duschgels aus der Fassung bringen zu lassen? Es gelingt mir, mich wieder anzukleiden und einigermaßen zu frisieren. Schon befinde ich mich auf einem kalten Korridor. Kalt ist auch die Handfessel, die mein rechtes Handgelenk untrennbar mit dem der Schließerin verbindet. Tränen laufen mir über die Wangen. Die Beamtin spricht beruhigend auf mich ein, in der Meinung, ich ängstige mich vor der Verhandlung. Wie kann sie auch ahnen, dass ich um die Vergangenheit weine? Die Meeresbrise kitzelt meine Nase, und ich kann mich nicht länger der Erinnerung verschließen.
    Und führe mich nicht in Versuchung
    Donnerstag, 2. Dezember 2010
    Nicht ohne eine gewisse Genugtuung nahm Nina ihre Kündigung entgegen. Ihr schmieriger Chef, nunmehr Ex-, verschanzte sich hinter seinem Schreibtisch und starrte sie gehässig an. Die Minderwertigkeitskomplexe und der sexuelle Frust waren ihm auf die niedrige Stirn gemeißelt. Unter anderen Umständen hätte Nina möglicherweise Mitleid empfunden –so aber mit Sicherheit nicht. Auf seinem rechten Pausbäckchen prangte noch jetzt der rote Abdruck von fünf Fingern, Ninas Fingern.
    »Tja. Ein guter Abgang ziert die Übung, Frau Sonnenberg«, versuchte Bruno Bürkers arrogant zu sein. Dieser Versuch misslang gründlich, und das wusste er. Nina schluckte und setzte zu einer Antwort an, doch Bürkers kam ihr zuvor:
    »Pack deine Sachen und verpiss dich!«
    Der derbe Ausdruck in seinen Augen unterband in Nina jeden Versuch einer Verteidigung. Sie richtete ihren Blick auf den abgetretenen Terrazzoboden. Unter Bürkers Schreibtisch war ein dunkler Fleck - sah aus wie verschüttete Cola. Oder hatte er hier gar jemanden ermordet?

    Der Supermarkt war bereits geschlossen, und die Angestellten verließen schnatternd das Gebäude. Nur Nina saß noch an ihrem Platz und kontrollierte wütend die Kassenbons.

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