Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Colorado Kid

Colorado Kid

Titel: Colorado Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Stephanie. »Als kleine Jungs sind sie selbst aus dem Baumhaus gefallen und haben sich den Arm gebrochen. Sie sind alle mal kleine wilde Racker gewesen. Aber dass ihre Mutter mitten in der Nacht aufgestanden ist und ihnen Schmerztabletten gegeben hat, das wissen sie natürlich nicht mehr. Ich bringe euch die Rechnung.« In ihren abgelaufenen Turnschuhen schlurfte sie davon.
    »Sie hat ein gutes Herz«, sagte Dave. Er besaß genug Anstand, um leicht beschämt dreinzublicken.
    »Ja, das stimmt«, bestätigte Vince, »und wenn wir von ihr einen Nasenstüber bekommen haben, dann haben wir ihn auch verdient. Egal. Mit dem Essen läuft das jetzt so, Steffi: Ich weiß nicht, was drei Hummerbrötchen, einmal Hummer mit Muscheln und vier Eistees in Boston kosten, aber der Journalist hat scheinbar vergessen, dass wir hier oben sozusagen an der Bezugsquelle sitzen, wie der Ökonom sich ausdrücken würde. Deshalb hat er hundert Dollar auf den Tisch gelegt. Wenn unsere Rechnung höher als fünfundfünfzig Dollar ist, fress ich einen Besen. Kannst du mir noch folgen?«
    »Natürlich«, sagte Stephanie.
    »Also, für den Typ vom Globe wird das so laufen: Auf der Rückfahrt schreibt er ›Mittagessen, Grey Gull, Moose-Lookit Island‹ und ›Serie: Ungelöste Rätsel Neuenglands‹ in seinen kleinen Spesenblock. Wenn er ehrlich ist, notiert er hundert Dollar, aber wenn er auch nur die geringste kriminelle Energie besitzt, schreibt er hundertzwanzig auf und geht mit seiner Freundin für die restlichen zwanzig ins Kino. Verstehst du?«
    »Ja«, entgegnete Stephanie. Mit vorwurfsvollem Blick trank sie ihren Eistee aus. »Das finde ich ganz schön zynisch.«
    »Nein, wenn ich zynisch wäre, hätte ich hundertdreißig gesagt«, gab Vince zurück. Dave musste lachen. »Auf jeden Fall hat er hundert hier gelassen, das sind mindestens fünfunddreißig Dollar zu viel, selbst wenn man zwanzig Prozent Trinkgeld draufrechnet. Deshalb habe ich das Geld an mich genommen. Wenn Helen die Rechnung bringt, unterschreibe ich und lasse sie an den Islander schicken.«
    »Du gibst ihr hoffentlich mehr als zwanzig Prozent Trinkgeld«, sagte Stephanie, »in Anbetracht ihrer Situation zu Hause.«
    »Nein, da irrst du dich«, sagte Vince.
    »Aha. Und wieso?«
    Geduldig sah er sie an. »Was glaubst du wohl? Dass ich ein geiziger Opa bin? Ein knickriger Yankee?«
    »Nein, das glaube ich genauso wenig, wie dass Schwarze faul sind oder Franzosen den ganzen Tag an Sex denken.«
    »Dann setz mal deine kleinen grauen Zellen in Bewegung! Gott hat dir genug gegeben.«
    Stephanie strengte sich an. Neugierig betrachteten die beiden Männer sie.
    »Helen will keine Almosen«, sagte sie schließlich. Vince und Dave schauten sich amüsiert an.
    »Was ist?«, fragte Stephanie.
    »Ein bisschen nah an faulen Schwarzen und sexbesessenen Franzosen, was?«, sagte Dave mit besonders starkem Akzent, jeden Vokal wie Kaugummi in die Länge ziehend. »Die stolze Yankeefrau, die keine Almosen nimmt.«
    Stephanie hatte das Gefühl, im Sumpf der Pauschalvorstellungen zu versinken. »Ihr denkt also, dass sie es nehmen würde. Für ihre Kinder, vielleicht auch für sich selbst.«
    »Der Mann, der uns das Mittagessen ausgegeben hat, kommt von weit her«, sagte Vince. »Für Helen Hafner haben Leute von weit her so viel Geld, dass sie sie damit sozusagen zusch … ähm, eindecken können.«
    Erheitert über diese sprachliche Rücksichtnahme, sah sich Stephanie auf der Terrasse um und blickte dann durch die Glasscheibe in den Saal. Ihr fiel etwas auf: Viele, ja fast sämtliche Gäste draußen auf der Terrasse waren Ortsansässige, die Kellnerinnen ebenfalls. Drinnen saßen die Urlauber, die Sommerfrischler. Sie wurden von jüngeren Kellnerinnen bedient, hübscheren Mädchen vom Festland. Aushilfen. Da verstand Stephanie alles. Es war falsch gewesen, die Frage unter soziologischem Aspekt zu betrachten – es war viel einfacher.
    »Die Kellnerinnen im Grey Gull teilen sich das Trinkgeld, stimmt’s?«, fragte sie. »Deshalb!«
    Vince zeigte mit dem Finger auf sie. »Bingo!«
    »Und was wollt ihr jetzt machen?«
    »Es läuft wie folgt«, erklärte er. »Ich unterschreibe die Rechnung mit fünfzehn Prozent Trinkgeld. Dann stecke ich Helen vierzig Dollar vom Globe-Typen in die Tasche. Sie bekommt den ganzen Batzen, der Zeitung tut’s nicht weh, und was Onkel Sam nicht weiß, macht ihn nicht heiß.«
    »So werden in Amerika Geschäfte gemacht«, sagte Dave feierlich.
    »Und weißt du, was ich

Weitere Kostenlose Bücher