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Colorado Saga

Titel: Colorado Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Leitpferd der Herde.
    Während die Pferde nach Nordwesten auf die neue Landbrücke zumarschierten, lagen zu ihrer Rechten in unendlicher Folge die Spitzen der Gletscher - jetzt eine Meile, dann wieder einhundert Meilen entfernt, stets aber sich südwärts schiebend und das Weideland erobernd, auf dem noch vor kurzem Pferde gegrast hatten. Vielleicht war es dieser unablässige Druck des Eises von Norden her, der die Pferde auf den Weg in die Emigration geschickt hatte. Jedes fruchtbare Fleckchen Erde wurde von den Gletschern zerstört, es mußte sich in ihrem Unterbewußtsein die Tatsache festsetzen, daß die Nahrung in der gesamten ihnen bekannten Welt zu knapp wurde.
    Als sich die Herde dem Anfang der Brücke immer mehr näherte, mußten die Pferde sich ein Jahr lang ihre Nahrung mit einer großen Herde Kamele teilen, die ihr Ursprungsland ebenfalls verlassen hatte. Der Kastanienbraune, inzwischen voll herangewachsen, führte seine Schützlinge direkt nach Norden bis an den großen Gletscher heran. Da es die warme Jahreszeit war, hatte der Gletscher zu schmelzen begonnen, so daß die Pferde ausreichend Wasser und saftiges Grün und Gras fanden.
    Die Emigration der Pferde nach Asien fand keineswegs in einem einzigen Zug statt. Die Entfernung von den Zwillingssäulen bis nach Sibirien betrug zwar nur 3500 Meilen, und da ein Pferd am Tag fünfundzwanzig Meilen zurücklegen konnte, hätte der Treck vermutlich in weniger als einem Jahr beendet sein können. Aber die Pferde wählten nie eine bestimmte Richtung; sie suchten lediglich ergiebigere Weiden, und wenn sie diese gefunden hatten, blieb die Herde dort zuweilen acht bis neun Jahre. Geheimnisvolle Kräfte zogen sie zwar in Richtung Westen, aber nur sehr langsam, so daß keines der Pferde, die mit der Herde von den Zwillingssäulen aus aufgebrochen waren, jemals auch nur in die Nähe Asiens kam.
    Vier Jahre brauchten sie bis nach Alaska, und der
    Hengst hatte inzwischen Schwierigkeiten, mit den jüngeren Pferden Schritt zu halten. Häufig blieb er hinter ihnen zurück, kannte aber dennoch keine Furcht, weil er wußte, daß er die Herde mit einem Spurt bald wieder erreichen konnte. Gelassen duldete er, daß jüngere Pferde die Führung übernahmen, das Zeichen zum Haltmachen und zum Weitermarschieren gaben. Das Gras schien spärlicher zu sein dieses Jahr und war auch weit schwerer zu finden.
    Eines Tages am Spätnachmittag suchte er auf kargem Gelände nach Futter, als er merkte, daß die Hauptherde - nein, überhaupt die ganze Herde -inzwischen weit vorausgezogen war. Ein wenig mühsam, weil das Atmen ihm schwerfiel, hob er den Kopf und sah, daß sich ein Rudel Wölfe zwischen ihn und die schützende Herde geschoben hatte. Rasch sah er sich nach einem Ausweg um, aber alle Fluchtmöglichkeiten, die ihm offenstanden, würden ihn nur weiter von den anderen entfernen. Er wußte zwar, daß er noch immer schneller war als die Wölfe, wollte aber auf keinen Fall seine Distanz zur Herde vergrößern.
    Er wagte daher einen Zickzackvorstoß direkt durch die Reihen der Wölfe hindurch in Richtung auf die anderen Pferde. Mit den Hufen nach allen Seiten ausschlagend, hatte er sich überraschend schnell zwei Drittel seines Weges durch das Wolfsrudel freigekämpft. Zweimal hörte er scharfe Zähne nach sich schnappen, jedesmal aber konnte er die Angreifer abschütteln.
    Dann merkte er jedoch voller Entsetzen, daß sein Atem schneller und schneller ging und seine Brust von einem ungeheuren Schmerz zerrissen wurde. Verzweifelt kämpfte er dagegen an, galoppierte, solange es ging.
    Dann spürte er, wie sein Körper beinahe mitten im Sprung versagte, während die Wölfe nach seinen Beinen schnappten. Ein stechender Schmerz strahlte von seiner Hinterhand aus, wo sich zwei Wölfe in ihn verbissen hatten, doch dieser äußerliche Schmerz war weit weniger schlimm als der Schmerz im Innern. Wenn er nur genug Luft bekäme, könnte er die Wölfe abschütteln. Das war ihm vorher ja auch gelungen. Dann aber überwältigte ihn ein noch stärkerer Schmerz, er sank ganz allmählich zu Boden, und das Rudel fiel über ihn her. Das letzte, was er vor seinem Tod noch sah, war die nichtsahnende Herde, die ihren jüngeren Leithengsten auf ihrem Kurs die Gletscher entlang nach Asien folgte.
    Warum dieser Hengst, dem es in der Wüste von Colorado doch so gut ging, sein fruchtbares Heimatland verließ, um nach dem fremden, fernen Sibirien zu ziehen, wissen wir nicht. Warum war das schönste Tier, das

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