Colorado Saga
begeistert, und die drei Wendells gerieten in Hochstimmung. »Wahrlich«, rief Wendell hingerissen zwischen den Akten, »ich habe selten vor so einem enthusiastischen Publikum gespielt. War es nicht herrlich, Maude?«
Mrs. Wendell war jetzt zweiundvierzig. Seit neun Jahren zogen sie von einer kleinen Stadt zur anderen, und sie bemühten sich, ihre Familie intakt zu halten, nickte, wenn Mervin - er war zwei Jahre jünger als sie - über schäbige kleine Erfolge vor Begeisterung tobte, und dachte immer daran, was sie wohl als nächstes tun würden. Früher hatten sie die ersten Rollen in guten Truppen gespielt - bei Langrishe in Denver zum Beispiel -, eine kleine Weile hatten sie auf dem Land Erfolge in den »Schwarzen Hügeln von Dakota« gefeiert, wo man sie als das erste Paar des amerikanischen Theaters umjubelte. Aber in den letzten Jahren konnten sie sich kaum noch am Leben erhalten. Dutzende Male waren ihre Kostüme beschlagnahmt worden, und jetzt hatte der Sheriff ihr, als dem verantwortlichen Mitglied der Truppe, das neueste Telegramm überreicht:
Sheriff
Centennial Colorado
Wegen zahlreicher unbezahlter Rechnungen ist sämtliches Gepäck der Maude und Mervin Wendell Truppe, die in Ihrer Stadt gastiert, einzuziehen
Sheriff Ed Bancroft Grand River Nebraska
»Die Tournee ist zu Ende«, sagte sie und reichte ihrem Mann das Telegramm.
»Wie taktlos!« rief er mit gespielter moralischer Entrüstung. »Einem so etwas mitten in der Vorstellung auszuhändigen!«
»Mervin«, sagte sie mit größter Gelassenheit, »reiß dich zusammen. Diesmal gibt es keinen Ausweg mehr.«
»Liebling«, flüsterte er, um sie zu trösten. Und wenn er das sagte, so meinte er es ernst, denn Maude Wendell war sein Leben. In jenen seltenen Augenblicken, in denen er sich selber so sah, wie er wirklich war, mußte er sich eingestehen, daß er niemals mehr als nur eine mittlere Begabung gewesen war. Zugegeben, Züge konnte er so gut nachmachen wie Major Hendershot, auch in der Imitation von Vogelstimmen schlug ihn so bald keiner. Aber wenn er sich an Shakespeare oder Dion Boucicault heranwagte, war er kaum zu ertragen. Er hatte niemals das brillante Talent des jungen Chisholm besessen, aber auch nicht Mike Murphys robustes Komödiantentum.
Dennoch hatte Maude De Lisle ihn geheiratet, obwohl sich ganz andere Freier um sie bemühten. Sie hatte ihn genommen, als sie noch überall Triumphe feierte, und war bei ihm geblieben, als sie sich nur mehr drittklassige Hotels leisten konnten. Er wußte ihre Treue zu schätzen, und wenn er auch nur ein höchst mittelmäßiger Schauspieler war, so war er doch seiner Frau ein treuer und liebender Ehemann, der sie anbetete und ihr das auch zu erkennen gab. Als sie einmal in einer kleinen Stadt in South Dakota die Balkonszene aus »Romeo und Julia« zum besten gaben und er zu ihr aufblickte, hatte er sie noch viel strahlender und schöner gefunden als Shakespeares Verse. Wie benommen stand er da am Fuß des Balkons, und als Murphy ihm zuzischte: »Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?«, da wiederholte er den Vers nicht, wie es richtig gewesen wäre, sondern nahm ihn an, als hätte eine Geisterstimme ihn gesprochen, und fuhr mit dem nächsten Vers fort: »Es ist der Ost, und Julia die Sonne!« Und das Stück war weitergegangen.
»Was gibt's?« fragte Murphy, der immer auf eine Katastrophe gefaßt war. Mervin protestierte, aber Maude hatte dem Iren das Telegramm schon gereicht.
»Benachrichtige Chisholm«, sagte Maude kalt, »wenn du ihn finden kannst.«
»Warte!« flehte Mervin, aber die Würfel waren gefallen. Diese Truppe hatte schon zu viele Rückschläge erlitten. Das Band, das ihre Mitglieder zusammenhielt, war von Sheriffs und Hotelmanagern und Eisenbahnschaffnern bereits zur völligen
Auflösung gebracht worden.
Jetzt verkündete Maude ihren Entschluß: »Meine lieben Freunde, heute geben wir unsere letzte Vorstellung. Ich weiß nicht, was ihr nachher tun werdet - wir jedenfalls werden uns hier in dieser Stadt ansiedeln, und« - sie sah vielsagend zu ihrem Mann -»ich bin sicher, daß sich etwas finden wird.«
Unter denen, die diese kleine Ansprache gehört hatten, waren nicht nur die Schauspieler und Sheriff Dumire, sondern auch der kleine Philip Wendell. Er stand im Schatten, wie immer, wenn er das Gefühl hatte, daß die Erwachsenen in Schwierigkeiten waren, und hörte zu; er hatte jedes Wort vernommen, das seit dem Eintritt von Sheriff Dumire gefallen war. Er erriet, was in
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