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Colorado Saga

Titel: Colorado Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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dem Telegramm stand, und begriff genau, was das bedeutete. Mit seiner Frühreife wußte er, daß seine Mutter es ernst meinte. Das war das Ende der Tournee.
    Und dann sah er, und es erfüllte ihn mit tiefem Stolz, wie sein bedrängter Vater seinen ganzen Mut zusammennahm und der Truppe zurief: »Kommt jetzt, meine Freunde! Wenn es denn die letzte Vorstellung sein muß, dann soll es auch die beste sein!« Und das Kind beobachtete, wie Mervin erst zu den Murphys ging und ihnen Mut zusprach, dann zu Chisholm: »Spiel, als wären heute Könige deine Zuschauer!« Typisch für seinen Vater, »Könige« zu sagen. Ein König allein hätte es nicht getan.
    Dann kam Mervin auf seinen Sohn zu, nahm dessen Hände und sagte: »Du weißt?« Und als der Junge nickte, drückte Mervin ihn an seine Brust: »Spiel so, daß du es selber nie vergessen wirst.« Philip zog das Mädchenkostüm an, und als der Vorhang wieder fiel, nachdem seine Mutter als Lady Teazle aus der »Schule des Skandals« aufgetreten war, schlüpfte er auf seinen Platz, die Harfe zwischen den Knien, die Augen geschlossen, um seine Blindheit anzudeuten. Mit den Fingern leicht über die Saiten streichend, begann er, die herzzerreißende Ballade Thomas Moores vom alten Irland zu singen: »Die Harfe, die einst in Taras Halle... « Als dann die Stelle kam, an der Philip sonst heftig in die Saiten griff und das Instrument ansprach, als wäre es ein guter Freund, berührte er es kaum, hörte auf zu singen, wandte sein Gesicht mit geschlossenen Augen der Harfe zu und sprach die vertrauten Verse: »Warum muß ich ein Instrument spielen, das ich nicht sehen kann? Ich fühle die Saiten und höre ihr Echo... «
    Aber die Gefühle des heutigen Abends überwältigten ihn, die Worte erstarben auf seinen Lippen. Er spielte noch ein paar Akkorde, dann wußte er nicht mehr weiter und sang die ganze Moore-Ballade noch einmal; das Publikum war tief beeindruckt. Das da oben war wirklich ein blindes Mädchen, mitten im Herzen des verlorenen Irland, und sang bei der Totenwache.
    Als er geendet hatte, trampelte und pfiff die Menge vor Begeisterung. Er blieb bei seiner Harfe stehen, die Augen geschlossen, und flehte, daß dieser Augenblick des Glücks nie enden möge. Endlich trat der junge Chisholm auf die Bühne und führte ihn weg. Hinter den Kulissen fing der junge Mann zu weinen an, drückte Philip an sich und sagte: »Diesen Abend darfst du nie vergessen, du warst himmlisch!« Seine Mutter brachte ihn fort.
    Es folgte die letzte Nummer. Philip, kostümiert als der kleine Trommlerjunge von Fredericksburg, schlug die dreifache Trommel, als marschierte die gesamte Armee der Union nach seinem Kommando, Mr. Murphy als sterbender Wachtmeister war hinreißend, und Mrs. Murphy hielt das Horn mit der rechten Hand und schwenkte in der linken eine Fahne, den künftigen Sieg des Guten über das Böse verkörpernd, des Nordens über den Süden; der junge Chisholm als Leutnant, der den Sturm anführte, wirkte einfach heroisch; und während der ganzen Vorführung ließ Mervin Wendell, ohne jede Unterstützung durch ein mechanisches Gerät, wie im Programm versprochen, Patronen platzen, er imitierte Minie-Kugeln, wie sie auf den Feind zuflogen, knatterte wie ein Schnellfeuergeschütz und verwandelte sich beinahe in einen Munitionswagen.
    Beim letzten Bild - Mrs. Murphy blies immer noch das Horn und schwenkte die Fahne - brach das Publikum in Beifallsgeheul aus. Als der Vorhang gefallen war, stellte Mervin Wendell jene Frage, von der alle reisenden Theatergruppen an den seltenen Abenden ihrer Erfolge gequält werden: »Warum kann es nicht immer so sein?«
    Sheriff Dumire, der schon viele solcher »letzten« Vorstellungen mitgemacht hatte, war so taktvoll als möglich, aber er blieb nichtsdestoweniger standhaft. Nein, die Wendells konnten nichts behalten, absolut nichts, weder ihre Kostüme noch ihre Trommeln, nicht einmal Philips Harfe. Wahrscheinlich hatten sie nicht nur in Iowa und Nebraska, sondern auch in einem Dutzend anderer Staaten Geschäftsleute geprellt, man mußte die Bürger Colorados vor ihnen schützen. Die Tournee war diesmal wirklich zu Ende.
    Die sechs Schauspieler saßen im verdunkelten Theater und überlegten, was sie jetzt tun sollten. Der junge Chisholm sah eine glänzende Zukunft vor sich; er war erst zweiundzwanzig und sah aus wie sechzehn. Von seinem Aussehen konnte er noch Jahre leben. Am nächsten Morgen würde er den ersten Zug nach Denver nehmen. Die Murphys hatten bereits

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