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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Interesse an Fragen der Politik, der Umwelt, der Atombombe oder der Armut der Dritten Welt. Für mich zählte damals nur eins, Matthew, Matthew, Matthew, und ich hatte den berechtigten Verdacht, eines Tages würde die Liebe weniger bedeuten. Genausowenig allerdings zweifelte ich daran, daß die Liebe irgendwann in ferner Zukunft wieder alles bedeuten würde. Doch bevor dieser Tag kam, würden noch viele salzige Tränen an meiner krummen Nase entlangrinnen.
    Ich war fest entschlossen, in Norcat mein Bestes zu geben, und glaubte, dies nur durch eine Reihe fundamentaler Wesensänderungen erreichen zu können. Zum einen glaubte ich, meine Sexualität unterdrücken und heterosexuell werden zu müssen. Weiter glaubte ich, ich müsse jeden Gedanken an Matthew begraben und mich zu der Überzeugung durchringen, alles sei nur »eine Phase«, eine jener »innigen Schulfreundschaften« gewesen, aus denen man »hinauswächst«, und daß ich mich jetzt zusammenreißen und mich ganz auf meine Arbeit konzentrieren müsse.
    Mein Schreiben war insofern ein Versuch von Selbstreinigung, Katharsis, Exorzismus oder wie immer man die Sache nennen will. Nicht zuletzt war es auch ein Abschied. Ich wußte, oder glaubte zu wissen, daß ich mein altes Ich verraten würde und mich in eine Welt tadellosen Benehmens, gewissenhafter Hausaufgaben, pünktlichen Erscheinens zum Unterricht und zu Verabredungen mit dem weiblichen Geschlecht stürzen würde. Ein wild wucherndes Dornengestrüpp mag sich genauso einreden, sich über Nacht in eingepflegtes Tulpenbeet zu verwandeln, aber damals glaubte ich wirklich an dieses Schicksal. Gleichzeitig wußte ich mit unumstößlicher Gewißheit, daß es bei aller Falschheit, Widerspenstigkeit, Unbezähmbarkeit und Unausstehlichkeit meines Charakters etwas in mir gab, das unabweisbar recht hatte. Ich wußte, die Wahrnehmung der Natur, die Tiefe der Empfindungen, der Glanz und die Intensität jedes einzelnen Augenblicks würden mit den Jahren verblassen, und bereits jetzt haßte ich mich dafür. Ich wollte für alle Zeit nach dem hastigen Pulsschlag eines John Keats leben. Vielleicht stimmte Popes Vermutung, Halbbildung sei eine gefährliche Sache, denn ich hatte zwar einiges, aber noch lange nicht alles gelesen: Ich hatte genug gelesen, um meine Erfahrungen mit denen anderer zu verknüpfen , aber ich hatte nicht genug gelesen, um den Erfahrungen anderer auch zu trauen . Wenn Robin Maugham beispielsweise in seiner Autobiografie Escape from the Shadows von den Lieben und Leidenschaften seiner Schulzeit, dem Haß auf seinen Vater und der Beziehung zu seinem berühmten Onkel schrieb, konnte ich das sehr wohl nachvollziehen, aber wenn Maugham davon berichtete, wie er sich Anfang Zwanzig als Schriftsteller versuchte, am Panzerkrieg in der Wüste teilnahm und anschließend auf die »Schatten« zurückblickte, denen er Gott sei Dank entronnen war, hielt ich ihn für einen Verräter. Er hätte ausharren und weiterkämpfen sollen, nicht nur im Namen Englands, sondern im Namen der Republik der Adoleszenz. Er hätte sich nicht des Vergehens schuldig machen dürfen, erwachsen zu werden. In Gedanken sah ich mich denselben Verrat begehen, was mich entsetzte und wütend machte.
    Das einzige Werk , wobei diese Bezeichnung bei weitem zu hoch gegriffen ist, aus dem ich einige Abschnitte wiedergeben kann, ist ein episches Gedicht, das ich in jenem Sommer begann und in dem ich aberwitzigerweise versuchte, die Form und den ironischen Stil von Byrons Meisterwerk Don Juan nachzuäffen, was insbesondere ein zähes Ringen mitden vertrackten Raffinessen der Ottaverime erforderte, einer Versform, der ich, wie Sie gleich sehen werden, nicht im geringsten gewachsen war. Byron kam damit wunderbar zurecht, aber Byron war eben Byron; auch Auden beherrschte sie meisterhaft, aber Auden war schließlich ein Meister sämtlicher Versformen. Ich hingegen ... nun ja, ich stolperte unbeholfen vor mich hin.
    Das Epos ohne Titel (so peinlich es ist, genau das ist sein Titel), das ich soeben mit großer Bestürzung erstmals seit seiner Niederschrift von vorne bis hinten gelesen habe, scheint weit stärker autobiografisch zu sein, als ich es in Erinnerung hatte. Der Abschnitt, mit dem ich den Leser plagen will, besteht aus der versuchten dichterischen Version meiner Entjungferung durch den rotschöpfigen Derwent. Im Gedicht habe ich ihm den Namen Richard Jones gegeben und ihn zum Hauspräfekten gemacht. Wie Isherwood in Christopher And His Kind trete ich

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