Columbus war ein Englaender
Selbstsicherheit zurück, sondern spürte, wie ich absolut ruhig und ganz und gar ich selbst wurde. Gerade so, als hätte ich den eigentlichen Zweck meines Daseins entdeckt. Andere zu täuschen und hinters Licht zu führen: Nicht nur ohne Scham, sondern aus echtem, tiefempfundenem Stolz heraus zu lügen. Mein großes Problem war, daß es sich um einen ganz persönlichen Stolz handelte. Kein Stolz, mit dem ich mich vor den anderen auf dem Schulhof brüsten konnte, sondern ein geheimer Stolz, an dem ich mich wie der Geizkragen am Geld oder der Perverse an pornografischen Darstellungen weidete. So sehr ich in den Stunden vor meiner Bloßstellung auch vor Angst schwitzte, im Augenblick der Gegenüberstellung offenbarte sich mein eigentliches Wesen: Innerlich war ich aufgekratzt, elektrisiert und glücklich, während ich nach außen hin völlig ruhig und gelassen blieb und in Sekundenbruchteilen reagierte. Der Akt des Lügens versetzte mich in einen Zustand, wie ihn Sportler kennen, wenn sie plötzlich zur Höchstform auflaufen, wenn ihr Timing einem natürlichen Rhythmus folgt und das Geräusch von Schlagholz, Racket, Schläger oder Queue wie eine süße Melodie klingt: ein Zustand, in dem sie gleichzeitig entspannt und voller Konzentration sind.
Fast möchte ich behaupten, der Moment, als sich elf Jahre später die Handschellen der Polizei um meine Gelenke schlossen, war einer der glücklichsten meines Lebens.
Manche mögen hier unweigerlich Parallelen zur Schauspielkunst sehen. Wenn auf der Bühne alles glatt läuft, überkommt einen ebenso das Gefühl einer perfekten Beherrschungvon Zeit, Rhythmus, Bewegung und Timing. Zudem, so mag man annehmen, ist auch alle Schauspielkunst Lüge, aus der reinen, beglückenden Freude am Schein. Nur ist dem nicht so, zumindest nicht in meinen Augen. Auf der Bühne zu stehen bedeutet, die Wahrheit zu sagen, aus dem reinen, quälenden Bedürfnis nach Wahrheit.
Die Leute glauben immer, Schauspieler seien die geborenen Lügner. Der Gedanke erscheint logisch, genau wie man geneigt sein könnte, einem Maler ein besonderes Talent zum Fälschen von anderer Leute Unterschriften zuzuschreiben. Mir persönlich erscheint das eine so falsch wie das andere.
Oft genug habe ich von meinen Eltern und Lehrern zu hören bekommen:
»Schlimm ist nicht, was du getan hast, sondern daß du gelogen hast.«
» Warum hast du gelogen?«
»Man hat den Eindruck, als wolltest du überführt werden.«
»Versuch das nicht noch einmal, Fry. Du bist ein miserabler Lügner.«
Keineswegs, habe ich jedesmal im stillen gedacht. Ich bin ein brillanter Lügner. Und zwar so brillant, daß ich es selbst dann versuche, wenn nicht die geringste Chance besteht, damit durchzukommen. Eben darin besteht die Kunst der Lüge um ihrer selbst willen, und nicht, um irgendein albernes Ziel zu erreichen. Das ist das wahre Lügen.
Nur keine Angst, das alles führt uns über kurz oder lang zurück zu Samuel Anthony Farlowe Bunce.
Zuvor aber will ich noch erzählen, wie John Kett mich tatsächlich in Erinnerung behalten hat. Es gehört zu den Begleiterscheinungen leidlicher Berühmtheit, daß diejenigen, die einen früher unterrichtet haben, häufig gebeten werden, sich über ihren einstigen Schützling zu äußern, entweder in Form von Zeitungsartikeln oder aber in öffentlichen Ansprachen.
Vor einigen Jahren wurde ich von John Ketts Nachfolger gebeten, das Schulfest von Cawston bzw. die Große Sommer-Kirmes, wie der offizielle Name lautet, zu eröffnen.
Jeder, der vor zwanzig oder dreißig Jahren auf dem Land groß geworden ist, kennt diese Art von Veranstaltungen, die mein Vater mit selbstironischem, schenkelklatschendem Humor als Maskenball im Hühnerstall bezeichnete.
Früher gab es auf Dorffesten in East Anglia noch das Putzlappenschleudern, das inzwischen leider der vermeintlich weltläufigeren Variante des Stiefelweitwurfs gewichen ist. Beim Wettkegeln konnte man ein Schwein gewinnen – damals wußten die Leute auf dem Land noch, wie man ein Schwein mästet, während der heutige Durchschnittsbürger Norfolks beim Anblick eines solchen Tiers vermutlich schreiend Reißaus nehmen und eine Klage anstrengen würde. Außerdem konnte man den Pfarrer oder Vikar mit einem nassen Schwamm bewerfen (im allgemeinen zogen die Dörfer in Norfolk den Pfarrer einem Vikar vor – wobei der Unterschied meines Wissens darin besteht oder bestand, daß ein Vikar vom Bischof entsandt wird, während ein Pfarrer vom jeweiligen Landeigentümer
Weitere Kostenlose Bücher