Columbus war ein Englaender
verdammt noch mal darauf gefaßt machen, von jetzt an so behandelt zu werden, wie beschissene kleine Dreckskerle wie ich es verdient hätten.
An Tabak war jetzt nur noch durch Arbeit ranzukommen. Für sieben Tage harter Arbeit konnte man sich gerade einmal fünfzehn Gramm Old-Holborn-Tabak und zwei Packen Blättchen als Wochenration leisten. Die Blättchen waren handelsübliche Rizla+, allerdings in einer braungelben Packung, die quer auf der Vorderseite den Aufdruck HM PRISONS ONLY trug.
Zur Arbeit wurde man eingeteilt: Entweder man durfte den Boden wischen und bohnern (was noch das Angenehmste war, da man dazu den elektrischen Bodenreiniger benutzen durfte), oder man mußte in die »Werkstatt« und Spielzeugsoldaten bemalen. Manchmal versuchte ich mir vorzustellen, wie Kinder wohl reagieren würden, wenn sie zu Weihnachten einen Satz napoleonischer Plastiksoldaten bekämen und anschließend erfahren würden, daß sie von Sträflingen in Handarbeit bemalt wurden. Heute weiß natürlich jeder, daß das meiste Kinderspielzeug, angefangen von der Barbiepuppe bis zum neuesten Disney-Schlager, unter weit haarsträubenderen Bedingungen als denen in Pucklechurch hergestellt wird, wo junge Männer mit hervortretenden Zungen an Tischen saßen und wie eifrige Mitglieder des Stouts-Hill-Bastel-Clubsin einem angenehm beheizten Raum fröhlich die Pinsel schwangen, während Simon Bates auf Radio 1 flockige Pop-Songs präsentierte. Nachdem ich vier Wochen mit dieser wohlig einschläfernden Pinselei verbracht hatte, wurde ich zum Flurputzer befördert, was wir in Uppingham als »Waschraum-Diener« bezeichnet hätten.
Eben das war der Schlüssel, warum ich mich in Pucklechurch so wohl fühlte. Ich habe es bereits mehrfach in Interviews gesagt, und man hat es immer als witzige Bemerkung aufgefaßt, aber ich empfand das Gefängnisleben tatsächlich als angenehm, weil ich bis dahin die meiste Zeit in Internaten verbracht hatte. Entgegen der allgemeinen Auffassung wollte ich damit keineswegs unterstellen, Internate seien wie Gefängnisse, sondern umgekehrt sagen, Gefängnisse sind wie Internate. Ich wußte, wie man mit Vorgesetzten umzuspringen hatte, um sich bei den Mithäftlingen beliebt zu machen und von den Schließern gerade noch ertragen zu werden; ich wußte, wie man sich mit kleineren Späßen, Tricks und Finten bei Laune hielt. Ich wußte, ironischerweise, weil ich im wirklichen Schulleben daran gescheitert war, wie man überlebte . In Pucklechurch gab es Sechzehnjährige, die noch nie von zu Hause weg gewesen waren. Die meisten saßen wegen FAF oder FEH, kurz für »Fahren mit aufgebrochenem Fahrzeug« und »Fahren ohne Erlaubnis des Halters« – wobei man mich bitte nicht fragt, welcher feine Unterschied zwischen beiden Delikten besteht. Außerdem stammte der Großteil von ihnen aus Süd-Wales und West-England. Ich empfand dies als ungemein tröstlich. Das Fernsehen hatte mir beigebracht, daß alle Kriminellen aus Schottland, Liverpool, vor allem aber aus London stammten. Dementsprechend hatte ich Sweeney-Akzente und Glasgow-Dialekte erwartet, nicht aber Devon-Gebrumm und Chepstow-Getriller.
Freizeit gab es wenig. Um sechs mußten wir raus, das Bettzeug falten, den Nachttopf nehmen und im Waschraum entleeren.
»Das heißt nicht Nachttopf! Das heißt Pinkel-Eimer!«
»Sehr wohl, Sir, aber mir ist die Vorstellung eines Nachttopfs lieber.«
»Mir scheißegal, welche Vorstellung dir lieber ist. Nur nennst du das beschissene Ding nicht einen beschissenen Nachttopf, sondern einen beschissenen Pinkel-Eimer, kapiert?«
»Sehr wohl, Sir. Ganz wie Sie wünschen.«
Nach dem Topfentleeren (gegen das sich Oscar Wilde vor hundert Jahren mit einem Protestbrief an die Zeitungen wandte und das meines Wissens mittlerweile durch die Anstrengungen der Howard-Liga zur Strafreform endlich abgeschafft wurde) wurde einem ein Rasierapparat ausgehändigt (in meinem Fall ein überflüssiges Unterfangen, da ich als Testosteron-Leichtgewicht nach wie vor nicht den leisesten Flaum auf Wangen oder Oberlippe vorzuweisen hatte), und es ging genau wie in der Schule an die Morgenwäsche, die allerdings in völliger Stille stattfand, bis auf das rhythmische Schrubben der Zahnbürsten und das kratzende Schaben abrasierter Bartstoppeln. Anschließend wurden wir runter zum Frühstück gebracht, ein (für mich) gänzlich vertrauter Prep-School-Fraß aus Dosentomaten und grauem Rührei auf Toast. Danach ging’s zur Arbeit.
Abends war Umschluß angesagt,
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