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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Nachricht bekommen hätte, hätte meine Mutter längst angerufen.«
    Genau in dem Moment erschien Just John auf der Treppe nach unten. »Stephen!« brüllte er durch das allgemeine Stimmengewirr. »Telefon für dich!«
    Ich sprang auf und sauste auf ihn zu, meinen Stuhl polternd zu Boden werfend.
    Irgendwie gelang es mir sogar, auf der schmalen Treppe an John vorbeizurauschen und mir den baumelnden Hörer zu schnappen.
    »Mutter! Ist ein Brief für mich gekommen?«
    »Nein, Liebling. Kein Brief.«
    »Oh ...«
    Verdammt und zugenäht, warum rief sie an, wenn kein Brief in der Post war? Sie mußte doch wissen, daß ich den ganzen Morgen auf heißen Kohlen gesessen hatte. Bestimmt soll ich irgendwelche blöde Salami oder sonstwas mitbringen ...
    »Kein Brief, leider«, wiederholte sie, »bloß ein Telegramm.«
    »Ein was ?«
    »Ein Telegramm.«
    Wer in aller Welt konnte mir ein Telegramm schicken? O Gott, vermutlich kam es vom Gericht. Eine erneute Anklage? Irgendwelche Widersprüche in meiner Aussage. Die Sache lag inzwischen ein Jahr zurück, aber man konnte nie wissen.
    »Ich lese es dir vor«, sagte meine Mutter, um dann klar und deutlich mit ihrer Für-Ausländer-und-Taube-Stimme zu verkünden: »Herzlichen Glückwunsch stop Stipendium am Queens’ College erhalten stop Senior Tutor.«
    »Noch mal bitte! Lies das noch mal!«
    »Oh, Liebling ...«, sagte sie seufzend. »Ich bin ja so stolz. So furchtbar stolz!«
    Was hat Paul Pennyfather gemacht? Was hat W. H. Auden gemacht? Eben das, was auch ich machen würde.
    Zwei Tage später stieg ich in Green Park aus der Londoner U-Bahn und spazierte am Ritz Hotel vorbei. Vielleicht sollte ich kurz bei Ron vorbeischauen und ihm sagen, wie sehr sein geliebter Reitlinger mir bei der Vorbereitung für die Kunstgeschichte-Prüfung geholfen hatte. Später vielleicht. Ich hatte einen Termin um elf und durfte keine Sekunde zu spät erscheinen. Als ich am Albany Court vorbeiging, blickte ich auf und dachte an Jack und Ernest, Raffles und Bunny.
    Dann bog ich links in die Sackville Street ein und untersuchte die Hauseingänge, bis ich die gesuchte Messingtafel entdeckte:
    GABBITAS & THRING
    SCHUL-AGENTUR
    Sie würden einen alten Public-School-Zögling und Cambridge-Stipendiaten nicht hängenlassen. Da draußen würde es schon irgendwo eine Prep School geben, die noch eine zusätzliche Lehrkraft brauchte. Jemanden, der sich mit den Gepflogenheiten auskannte und bereit war, kurzfristig einzuspringen und ein paar Stunden Latein, Griechisch, Französisch,Englisch oder Geschichte zu geben. Der überall mit anpacken und auch einmal ein Rugbyspiel pfeifen oder ein Theaterstück auf die Beine stellen konnte. Ein typisches Uppingham-Produkt eben, ein guter, geradliniger, umgänglicher Kumpel.
    Ich drückte auf die Klingel.
    »Thrrrring!«
    Ich dachte an den mächtigen Backenbart und die Kapelle. Ich dachte daran, wie ich an jenem mächtigen Bart vorbeigeeilt war, um zu sehen, wo er unter der Kolonnade seine Schultasche abstellte. War ich wirklich so lange im Netz des Wahnsinns gefangen gewesen? Und war der Stich, den ich in diesem Moment verspürte, immer noch ein Stechen der Sehnsucht? Nein, nein. Ganz gewiß nicht.
    Mein ganzes Leben breitete sich glänzend hinter mir aus.
    Ich wußte jetzt, wie man arbeitete. Während der Vorbereitung auf die Cambridge-Prüfung hatte ich sämtliche Shakespeare-Stücke gelesen und zu jedem Dutzende Seiten Notizen angefertigt: zum Szenenaufbau, den einzelnen Charakteren, Querverweisen, einfach alles. Ich wußte, wie man sich konzentrierte. Ich konnte auch ohne Lentizol und Verstopfung bei der Sache bleiben.
    War ich überschwenglich? Tickte die Uhr wieder richtig? In Cambridge wäre ich älter als die meisten meines Semesters. Ich wäre zwanzig, sie gerade mal achtzehn. Jo Wood, Matthew und alle alten Bekannten hatten ihr Studium bereits hinter sich. Ich wäre der Außenseiter in einer wilden Horde Jugendlicher, die, frei nach Churchill, sich die Hörner abstoßen wollten, während ich nur reif und weise werden wollte.
    »Thrrrrring! Thrrrrring!«
    »Ja, bitte?«
    »Ähm, ich habe einen Vorstellungstermin um elf. Bei Mr. Howard?«
    »Gabbitas!« Auf ein dreifaches Schnarren des Summers öffnete sich die Tür, und ich sprang die Treppen hoch.
    Nein. Ich war Stephen . Und ich würde auch immer Stephen bleiben. Ein Leben lang die gleiche verrückte und monströse Mischung aus Pedanterie, Egoismus, Höflichkeit, Selbstsucht, Zuvorkommenheit, Durchtriebenheit,

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