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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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derWahrheit, ist selbst ein Klischee, und in diesem Fall ein Klischee, das wie die meisten Klischees unwahr ist.
    Stock und Stein mögen meine Knochen brechen, aber nur Wörter werden mir wirklichen Schmerz zufügen.
    Knochen heilen und sind nachher an der Stelle, wo sie gebrochen und wieder zusammengewachsen sind, noch kräftiger; geistige Wunden aber können über Jahrzehnte schwären und eitern und durch das leiseste Flüstern wieder aufgerissen werden. Mißhandelt wurde ich, als Kirk mich beim Singen bloßstellte, und dabei war er nur ein dummer Junge, der bloß seiner Pflicht nachkam. Mid Kemp und seine irren Schinken-Spalter hingegen waren Teil der allgemeinen Spielregel, über die ich im nachhinein schmunzeln kann.
    Exkurs beendet.
    Mein liebster Verstoß gegen die Schulregeln bestand darin, unerlaubt das Schulgelände zu verlassen. Ich hoffe nicht, daß auch hier wieder eine Metapher verborgen liegt, da dieser ganze psychologische Kram langsam ermüdend wird.
    Das Schulgelände war riesig. Den See, die Wälder und die Pony-Weiden habe ich ja bereits erwähnt. Uley selbst lag noch ein gutes Stück entfernt und war für uns strengstes Sperrgebiet. An hohen Festtagen marschierten wir in Zweierreihen zur Dorfkirche – zum Weihnachtssingen beispielsweise, oder wenn Ostern in die Schulzeit fiel, oder wenn unser Schultheater im Gemeindesaal auftrat (»Stephen Frys Mrs. Higgins wäre die Zierde eines jeden Salons«, hieß es in meiner ersten Zeitungsnotiz) – aber zu allen anderen Zeiten war Uley verboten, tabu, und wehe dem, der sich dorthin wagen sollte.
    In Uley gab es ein kleines Geschäft mit Poststelle, in dem man Brausegetränke, Kaugummis und zwei Sorten Penny-Futter erstehen konnte – Fruchtgummis und Karamelbonbons. Ich weiß auch nicht, warum es Penny-Futter hieß, denn eigentlich hätte es Farthing-Futter heißen müssen, weil man für einen Penny ganze vier dieser köstlich-klebrigen, inPapier eingewickelten Plombenzieher bekam. Weiterhin gab es in dem Lädchen ein braunes, feingeschnittenes Konfekt zu kaufen, das aussah wie Tabak zum Selberdrehen und, wenn ich mich recht erinnere, nach Kokos schmeckte. Die Verpackung bestand aus Wachspapier und trug vorne das Emblem einer spanischen Galeone. Der moderne puritanische Geist wird dies wie auch die unzähligen anderen nachgemachten Rauchutensilien – Zuckerstangen-Zigaretten mit roter Spitze, Schokoladenzigaretten, die mit echtem Papier umwickelt waren, und Lakritzpfeifen – als fast genauso schändlich empfinden wie das Schlagen von Kindern und die Fuchsjagd. Das Besondere an diesen Süßigkeiten aber war, daß man sie im Süßwarenlädchen der Schule nicht kaufen konnte . Dort gab es zwar Frys Türkische Früchte (als endlose Quelle von Spitznamen der Nagel zu meinem Sarg) oder Crunchie- und Schokoriegel, aber nur der Dorfladen verkaufte fliegende Untertassen aus Eßpapier mit Brausefüllung, rosa Schaumzucker-Shrimps, kleine Gummimilchfläschchen und gesprenkelte Schokotaler.
    Der Besitz und das heimliche Zurschaustellen von Papiertüten mit diesen verbotenen Früchten war beinahe ebensosehr ein Zeichen von Heldentum wie der stolze Besitz von Schamhaar und wurde unter Freunden in der gleichen Mischung aus Geheimnistuerei und Gekicher, Schüchternheit und Angeberei präsentiert. Da alles Zwicken, Kitzeln, Einseifen, Drohen und Zureden nicht auch nur den kleinsten Millimeter zartblonden Schamhaars bei mir sprießen ließ, wurden Süßigkeiten zum ausschließlichen Nachweis meiner Männlichkeit.
    Außerdem war es ein ganz eigener Nervenkitzel, am Ufer des Sees entlangzuschleichen, vom Bootshaus aus quer über das Turnierfeld mit seinen Dressurstangen und abgewetzten Hindernissen zu laufen, das zweite Spielfeld zu überqueren, um schließlich jenseits der Straße in unbefugtes Gebiet zu gelangen. In jenen Augenblicken eröffnete sich mir auch dieNatur von ihrer besten Seite, das heißt der Seite, die nicht ein einziges Krabbeln, Kriechen und Schwären war. Cider with Rosie war für uns beinahe so etwas wie ein Teil der Schuluniform; viele Jungen betrachteten Laurie Lee als einen Freund, der manchmal auf ein Bier in den Pub von Uley kam und zu besonderen Anlässen bei uns in der Schule vorlas. Eine Lesung mit Laurie Lee würde selbst einen Killer-Cyborg vom Planeten Vark umgehend in einen Naturfreund verwandeln.
    Der Fußmarsch von der Schule zum Dorfladen war etwas länger als eine Meile, aber gewöhnlich ließ ich mir Zeit. Ich stelle mir vor, wie ich

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