Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
neben meinem Ellbogen.
    »Was ist los, Fry? Irgendwelchen Ärger?«
    Ich blickte hinab und sah Bunce, der mir aus ängstlichen braunen Augen zublinzelte.
    Ich wischte mir mit dem Ärmel den Rotz und die Tränen aus dem Gesicht. Ich konnte es nicht ertragen, daß jemand, der mich so bewunderte, mich in einem derartigen Zustand sah.
    Genau im Augenblick des Ärmelwischens kam mir der Gedanke zu einem perfekten und raffinierten Plan. Die Geschwindigkeit, mit der er sich von der bloßen Idee zur vollen Reife materialisierte, war nahezu atemberaubend. Zuvor am Nachmittag war ich den ganzen Weg vom Elektrozaun bis zu Cromies Büro hinter Evans hergeschlichen, ohne daß mir irgend etwas zu meiner Verteidigung eingefallen war, und jetzt, da ich weitaus mehr zu befürchten hatte, war der rettende Plan binnen einer Sekunde gekommen. Noch bevor ich den Ärmel absetzte, lag er bis in alle Einzelheiten in meinem Kopf ausgebreitet.
    Wie sagt Biggles doch unermüdlich zu seinen Kameraden, es gibt immer einen Weg. Immer. Man kann noch so tief im Schlamassel stecken, und vergeßt nicht, Jungs, wir haben schon schlimmere Schlamassel erlebt, es gibt immer einen Ausweg. Kopf hoch, Algy, und reich mir das Seil ...
    »Pollock hat mich gerade mit einer Ladung Süßigkeiten aus dem Dorfladen erwischt«, sagte ich mit unheilvoll flüsternder Stimme.
    Bunces Augen wurden noch größer. Ich sah, daß der Glanz und das Exotische von Süßigkeiten aus dem Dorfladen ihn gleichermaßen erschreckten wie faszinierten. Er mußte mittlerweile in seinem zweiten Jahr sein, aber irgendwie blieb er wie der kleine Arthur aus Tom Brown’s Schooldays in seiner Art stets der Jüngste der ganzen Schule. Ich erinnere mich noch, wie er zu Beginn des Sommersemesters mit weißen Turnschuhen beim Sportunterricht erschienen war und ihn der Lehrer beiläufig ermahnt hatte, er müsse die vorgeschriebenen schwarzen Schuhe tragen, woraufhin er rot wie eine Tomate geworden war und tagelang geschluchzt und gezitterthatte. In seinen ersten drei Semestern war er nie auch nur in die Nähe einer Bestrafung oder eines leisen Tadels gekommen, und er konnte sich gar nicht mehr beruhigen, weil dies sein erster Verstoß gegen die Schulordnung gewesen war.
    »Menschenskind«, sagte er. »Hast du nicht erst letzte Woche die Knute bekommen, weil ...?«
    »Ganz recht«, unterbrach ich ihn. Das Wichtigste war, den kleinen Kerl in Aufregung zu halten. »Und Cromie sagte, wenn er mich noch mal erwischt, fliege ich.«
    »Du fliegst ?« Bunce hauchte das Wort mit ängstlichem Flüstern, als handle es sich um Nitroglyzerin, das bei der leisesten Bewegung in die Luft fliegen konnte.
    Ich nickte schicksalsergeben. »Ich weiß nicht, wie meine Eltern auf einen Schulverweis reagieren«, sagte ich leise schneuzend.
    »Aber wieso ?«
    »Wieso? Weil sie sich fürchterlich aufregen werden natürlich!« sagte ich, genervt von soviel Begriffsstutzigkeit.
    »Nein, ich meine, wieso bist du in den Dorfladen gegangen, wenn du wußtest, daß du einen Schulverweis riskierst?«
    Herrgott, wirklich. Manche Leute.
    »Ich ... ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll«, sagte ich. »Aber egal warum, die Sache ist die, daß es kein Zurück gibt, verstehst du. Pollock hat das Beweismaterial konfisziert und ist damit unterwegs zum ...« Meine Stimme stockte in plötzlichem Erstaunen, als sei mir soeben eine Idee gekommen. »Es sei denn ...«
    »Es sei denn was?«
    »Nein, nein ... das wäre zuviel verlangt«, sagte ich kopfschüttelnd.
    »Es sei denn was ?« quäkte Bunce erneut.
    »Vergiß es, nicht der Rede wert. Die Sache ist gelaufen.«
    »Es sei denn was ?« Bunce stampfte vor Ungeduld fast auf den Boden.
    »Na ja ... ich dachte bloß, wenn ich sagen könnte, nicht ich wäre im Dorfladen gewesen, sondern jemand anderes hätte mir die Süßigkeiten besorgt ...«
    Ich ließ den Gedanken in der Luft hängen.
    »Du meinst«, sagte Bunce, »wenn ein anderer Junge behaupten würde, er sei im Dorfladen gewesen und nicht du, dann wärst du es gar nicht gewesen und würdest auch nicht von der Schule fliegen?«
    Ich machte mir nicht die Mühe, der genaueren Bedeutung dieses verschrobenen Satzes zu folgen, ging aber davon aus, daß Bunce auf der richtigen Spur war, und nickte heftig. »Das Problem ist«, sagte ich finster, »wer in aller Welt würde das für mich tun?«
    Mit unbeteiligtem und wahrhaft teuflischem Interesse verfolgte ich, wie Bunce zwinkerte, sich auf die Lippe biß, schluckte, sich auf die Lippe

Weitere Kostenlose Bücher