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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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wohl, daß ich verblüfft war über den Feuerwagen von Licht, der vom Norden her auf uns zukam. Darauf er zu mir: »Wären die Zwillinge Kastor und Pollux in der Nähe des Spiegels, der sein Licht oben wie unten verbreitet, dann sähest du den rötlichen Tierkreis noch näher an den Bären, es sei denn, er verläßt seinen alten Weg. [275]   Wenn du, ganz konzentriert, denken willst, wie das möglich sei, dann stelle dir vor: Sion und dieser Berg stehen auf der Erde sich so gegenüber, daß beide den gleichen Horizont haben, aber unterschiedliche Hemisphären. Dann siehst du: Die Straße, die Phaethon nicht recht zu befahren verstand, kommt für diesen Berg von der einen, für den Sionsberg von der anderen Seite her – wenn dein Intellekt die Dinge klar sieht.« »Gewiß, mein Meister«, sagte ich, »niemals sah ich so klar wie jetzt. Wo mein Verstand offenbar versagte, das verstehe ich nun: Der mittlere Kreis der Himmelsbewegung, der in einer bestimmten Wissenschaft ›Äquator‹ heißt und immer zwischen Sonne und Norden bleibt, liegt aus dem Grund, den du nennst, von hier aus gegen Norden, während die Hebräer ihn gegen den heißen Erdteil hin sahen. [276]  
    85   Aber, wenn es dir recht ist, wüßte ich gern, wie weit wir noch zu gehen haben, denn der Berg reicht weiter, als meine Augen hinaufgehen können.« Und er zu mir: »Dieser Berg ist so beschaffen, daß der Anfang des Aufstiegs immer schwer ist, aber je weiter man hinaufkommt, um so weniger Mühe macht er. Erst wenn dir das Hinaufgehen so leicht fällt wie dem Schiff die Fahrt flußabwärts, dann bist du am Ende dieses Wegs. Dort oben kannst du dich von der Anstrengung ausruhen. Mehr sage ich jetzt nicht; aber das weiß ich mit Gewißheit.«
    97   Kaum hatte er dies ausgesprochen, da ertönte aus der Nähe eine Stimme: »Aber vielleicht mußt du dich vorher noch einmal hinsetzen?« Als die Stimme ertönte, drehten wir beide uns um und gewahrten zur linken Hand einen großen Felsklotz, den weder ich noch er vorher bemerkt hatte. Dahin zogen wir uns, und dort im Schatten hinter dem Felsen lagerten Leute – wie ein Mensch, der es sich aus Nachlässigkeit bequem macht. Und einer von ihnen, der mir müde vorkam, saß da, umarmte seine Knie und steckte sein Gesicht tief unten zwischen sie. »Oh, mein lieber Herr«, sagte ich, »da sieh einer mal an! Er ist ja noch bequemer, als wäre Faulheit seine Schwester!« Da drehte er sich uns zu und nahm uns zur Kenntnis; er holte sein Gesicht ein wenig zwischen den Schenkeln herauf und sagte: »Na, dann geh du doch hinauf, wenn du so stark bist.« Jetzt erkannte ich, wer er war; die Anstrengung vorher jagte mir immer noch den Atem, hinderte mich aber nicht, zu ihm zu gehen. Als ich ihn erreicht hatte, hob er ein wenig den Kopf und sagte: »Hast du nun begriffen, daß die Sonne den Wagen von links führt?« Sein bequemes Benehmen und seine kurzen Worte verzogen meine Lippen ein wenig zum Lächeln, und ich begann: »Belacqua, um dich ist’s mir jetzt nicht mehr bang. Aber sag mir: Warum sitzt du gerade hier? Erwartest du einen Begleiter, oder setzt du nur deine alte Gewohnheit fort?« Und er: »O Bruder, da hinaufzugehen, was bringt es? Gewiß würde der Engel Gottes, der da oben vor dem Tor sitzt, mich nicht zu den Martern schicken, doch der Sternenhimmel muß mich hier draußen vor dem Tor so oft umkreisen, wie er es in meinem Leben getan hat, als ich die Reue aufs Ende verschob. Es sei denn, es hilft mir zuvor ein Gebet. Aber es müßte schon aus einem Herzen kommen, das in der Gnade lebt. Denn ein anderes – was nützt es, wenn es im Himmel nicht gehört wird?« Und schon stieg der Dichter vor mir bergan und sagte: »Komm jetzt! Du siehst, die Sonne hat schon den Meridian berührt, und am Ufer setzt die Nacht schon ihren Fuß auf Marokko.«

Canto 10
Die Dichter betreten den ersten Kreis des eigentlichen Purgatorio. Dante betrachtet die Felswände mit Reliefs dreier Beispiele von Demut: Maria bei der Verkündigung, König David tanzt vor der Bundeslade, Kaiser Trajan verschiebt den Feldzug, um einer armen Witwe zu helfen. – Die Dichter treffen die Schar der Stolzen; sie gehen niedergebeugt unter dem Gewicht schwerer Lasten.
    1   Kaum hatten wir die Schwelle des Tors überschritten, das wenig in Gebrauch ist – halten doch die Seelen in ihrer bösen Neigung den falschen Weg für den richtigen –, da hörte ich am Geräusch, daß es sich schloß. Die Augen zu ihm zurückzuwenden, für diesen

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