Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
damit du mir um so lieber die zu Glas gewordenen Tränen vom Gesicht kratzt, sollst du noch mehr wissen: Sobald eine Seele Verrat begeht, wie ich es tat, nimmt ihr ein Teufel den Körper weg. Der beherrscht ihn dann, bis seine ganze Zeit abgelaufen ist. Sie stürzt in diesen Brunnenschacht, und vielleicht ist oben der Körper des Schattens zu sehen, der hier hinter mir im Winter steckt. Du bist ja eben erst hier herunter gekommen, und du mußt wissen: Das ist Herr Branca Doria, und es ist schon einige Jahre her, daß er so eingesperrt wurde.« »Ich glaube«, sagte ich zu ihm, »daß du mich anlügst. Denn Branca Doria ist überhaupt noch nicht gestorben, sondern er ißt und trinkt und schläft und trägt seine Kleider.« »In dem Graben oben«, erwiderte er, »bei den Malebranche, wo das heiße Pech kocht, ist Michel Zanche noch nicht angekommen: Der ließ den Teufel an seiner Stelle in seinem Körper zurück, und ebenso ein naher Verwandter, der mit ihm den Verrat beging. Aber jetzt streck endlich deine Hand aus und reibe mir die Augen frei!«
149 Aber ich öffnete sie ihm nicht. Zu ihm grob zu sein, war das richtige Benehmen.
151 O weh, ihr Genuesen! Ihr seid Leute ohne jede Sitte! Ihr steckt voller Laster! Warum seid ihr aus der Welt noch nicht verschwunden? Bei dem schlimmsten Geist der ganzen Romagna fand ich einen von euch, der so schlecht ist, daß er schon im Kokytos schwimmt, während oben noch sein Körper lebt.
Canto 4
Mühsam erklettern die Dichter einen steilen Felshang. Ein freier Platz erlaubt eine Ruhepause. Vergil erklärt die Geographie des Berges, besonders sein Verhältnis zur Sonne, die im Norden steht. Die Dichter setzen die Wanderung fort und treffen Träge, die ihre Reue verschoben haben, darunter Dantes Landsmann Belacqua.
1 Packt Freude oder Schmerz eines unserer Seelenvermögen, dann versammelt die Seele sich ganz bei diesem, als erstrecke sie sich auf keine andere Fähigkeit. Und das spricht gegen den Irrtum, der behauptet, in uns lebten mehrere Seelen, eine über der anderen. Wer daher etwas hört oder sieht, was die Seele heftig bewegt, dem geht die Zeit vorbei, und er merkt es nicht. Denn es ist ein anderes Vermögen, das etwas hört, und ein anderes, das die Seele als Ganzes hat. Das erste ist wie eingebunden, das zweite ist abgelöst. [274]
13 Das habe ich selbst erfahren, als ich diesem Geist bewundernd zuhörte. Denn die Sonne stand schon gut fünfzig Grad hoch, und ich hatte es gar nicht bemerkt, als wir an einem Ort angekommen waren, wo jene Seelen zusammen uns zuriefen: »Hier ist, was ihr sucht!«
19 Wenn die Traube reift und der Landmann die Wingerte mit Dornengestrüpp verschließt, dann ist der schmale Einlaß breiter als der Pfad, den mein Führer hinaufstieg, und ich hinter ihm. Wir waren allein. Die Schar hatte sich von uns getrennt. Man steigt hinauf in San Leo, man steigt ab in Noli; man klimmt hoch in Bismantova und in Cacume, aber nur mit den Füßen, doch hier muß der Mensch fliegen, ich meine: mit flinken Flügeln und Federn großer Sehnsucht, immer meinem Begleiter nach, der mir Hoffnung gab und Licht schuf.
31 Wir stiegen auf zwischen geborstenen Felsen. Von beiden Seiten bedrängten uns die Ränder. Der Boden unter uns forderte Hände und Füße. Als wir am äußersten Rand des Steilufers standen, vor uns ein offener Abhang, da fragte ich: »Mein Meister, welchen Weg nehmen wir?« Und er zu mir: »Dein Schritt weiche nach keiner Seite ab! Nur immer den Berg hinauf, mir nach, bis ein Begleiter erscheint, der sich auskennt.«
40 Die Spitze des Berges war höher, als wir sehen konnten, und der Abhang war steiler als die Linie, die von der Mitte eines Kreisviertels zum Zentrum geht. Ich war erschöpft, und ich begann: »Oh, lieber Vater, dreh dich um und schau, wie ich allein zurückbleibe, wenn du nicht stehenbleibst.« »Mein Sohn«, sprach er, »zieh dich bis hierhin hinauf!«, und er zeigte mit dem Finger auf einen Vorsprung, wenig höher, der sich von da an rings um den Berg windet. Seine Worte spornten mich so sehr an, daß ich mich anstrengte, hinter ihm herzukriechen, bis der Felsgürtel unter meinen Füßen lag. Hier setzten wir beide uns nieder, nach Osten gewandt, von woher wir aufgestiegen waren – so zurückzublicken, pflegt Menschen zu erfreuen. Ich richtete die Augen zuerst auf die Ufer in der Tiefe, dann hob ich sie auf zur Sonne und wunderte mich, daß sie uns von links her traf. Der Dichter bemerkte sehr
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