Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
verstört.
Jetzt habe ich schon die dritte Zigarette in knapp fünfzehn Minuten intus und bin noch immer nicht hinreichend betäubt.
Dine brettert an einem Stopschild vorbei und läßt in einer scharfen Kurve die Reifen quietschen. Er ist außer sich. Seine Faust trommelt aufs Lenkrad, malträtiert den Schaltknüppel. Ich find’s nicht besonders amüsant. In einer Biegung kommt der Wagen wegen eines Schlaglochs ins Schleudern, und es wirft mich gegen die Scheibe. Dine bemerkt nichts von alledem. Er hat an meinem überstürzten Aufbruch aus der Villa von Algiers schönster Witwe zu knapsen und reagiert seinen Zorn mit durchgedrücktem Gaspedal ab.
»Mein Lieber, wenn du weiter so muffig dreinblickst, wirst du dein Schicksal kaum freundlicher stimmen!« schimpft er. »Sieh zu, daß sich ein Schönheitschirurg deiner Visage annimmt. Du bist schlicht zum Verzweifeln.«
Verzweifelt, das dürfte es treffen. Verzweifelt darüber, zusehen zu müssen, wie meine Welt sich im Hauch der Chimären auflöst; verzweifelt, im fortgeschrittenen Alter feststellen zu müssen, daß nichts blieb von den Hoffnungen, die ich hartnäckig nährte, die mein Bollwerk waren gegen alle Anfeindungen, gegen den barbarischen Ansturm der Opportunisten und Arrivisten. Ach, Dine, wo sind sie hin, die unbeschwerten Jahre, in denen du dir täglich was Neues ausdachtest, um bis zum Monatsende über die Runden zu kommen? Was ist aus dem tollen Burschen geworden, dessen Hungerlohn seinen aufrechten Gang nicht anzufechten vermochte? Dabei gab es vieles, bei dem man schwach werden konnte. Es war so leicht, es wie alle zu machen, sich ein Plätzchen an der Sonne zu sichern, jemandes Einfluß zu nutzen, um eine fette Rente zu ergattern, die in Reichweite aller Geldbeutel war. So verrottet war das Land, daß es schon zum Himmel stank. Doch manch einer mochte nicht dem Schwur der Gerechten entsagen, wollte seine Prinzipien nicht für trügerische Privilegien verhökern. Manch einer hat seine Ehre höher als den Reichtum gehalten, hat sich im trübsten Tümpel nicht in den Schlamm ziehen lassen.
Meine vierte Zigarette schickt mich auf Reisen, 27 Jahre zurück, in ein kleines Kommissariat in El Hamri, einem Armeleuteviertel von Oran. Eines Morgens im April war ich dort aufgetaucht, in der einen Hand mein Köfferchen, in der anderen ein Dokument. Es regnete Bindfäden an jenem Tag, der Himmel entlud seine Wut. Ich war fremd in einer fremden Stadt. Und dann war da plötzlich dieser joviale Typ hinter seinem altersschwachen Schreibtisch. Der beim Reden nicht anders konnte als jeden Satz mit lautem Gelächter zu beenden. Sein Lächeln heiterte das Gewitter auf, das draußen tobte. Er hieß Dine. Wir wurden Freunde vom ersten Handschlag an und sind es jahrelang geblieben, trotz der Wechselfälle dieses Hundelebens, das sich Laufbahn nennt. Doch offensichtlich gibt es solide Fassaden, die plötzlich, bei der geringsten Berührung, einstürzen.
Wir sind vor dem Haus angelangt, in dem ich wohne. Die Straße ist ausgestorben. Die paar klapperdürren Laternen, die sich am Straßenrand reihen, sehen wie bettelnde Gespenster aus. Bleiches Licht hüllt ihren Kopf in einen verblüffenden Heiligenschein. Vorbei die schöne Zeit von einst. Verschwunden die jungen Tunichtgute, die sich einst lärmend in den Torfluchten trafen. Die Händler machen mit Einbruch der Nacht die Läden dicht. Dann treibt sich hier nur noch der Wind herum, die Hunde streunen, die Unsicherheit lauert der Straße auf.
»Nun gib dir mal ‘nen Ruck!« brummt Dine. »Im Leben muß du dich entscheiden: Entweder du steigst aus oder du gibst Vollgas und ziehst an den anderen vorbei.«
»Was glaubst du, wieviel das ausmacht, siebenundzwanzig Jahre Freundschaft - abzüglich der Steuern?«
Meine tonlose Stimme überrumpelt ihn, haut ihn regelrecht um. Er läßt das Lenkrad los, weicht bis zur Tür zurück, sieht mir schließlich ins Gesicht. Sein Schnauzer bebt. »Wie bitte?«
»Was für ein Spiel spielst du?« Ich setze ihm den Zeigefinger auf die Brust. Er begreift zwar nicht, aber er merkt, daß da irgendwas faul ist.
»Was soll der Quatsch, Brahim?«
»Was für ein Spiel spielst du?«
Er schluckt. »Ich kann dir nicht folgen.«
»Wie auch, wo ich’s doch bin, der dir ständig wie ein kleiner Hund nachläuft.«
Er blickt vor sich hin, bekundet vages Interesse für eine Katze, die gerade einem Müllsack ans Eingemachte geht. Er versucht, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen, seine Gedanken in
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