Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
den Griff. Dann endlich wendet er sich mir zu. Doch diesmal folgen seine Augen nicht.
»Bist du sicher, daß alles okay ist?« stammelt er.
»Absolut sicher. Aber ich glaube nicht, daß was Vernünftiges dabei herauskommt.«
»Olala, du lavierst hart am Rande des Wahnsinns, wenn du meine Meinung hören willst.«
Mit gespreizten Fingern bitte ich ihn, nicht vorzugreifen.
»Hör zu, Dine. Stimmt, ich habe heftig eins über die Rübe gekriegt, aber deshalb mußt du noch lange nicht meinen, ich hätte den Verstand verloren, das ist gar nicht nett … Zunächst einmal: Du bist bei mir aufgekreuzt und schleppst mich, ohne Widerspruch zu dulden, in das nobelste Lokal der Stadt. Und ganz zufällig sitzt Madame Rym am Nebentisch.«
»Reiner Zufall.«
»Na schön. Als nächstes fährst du heute abend schnurstracks bis zu ihrem Haus, ohne nur einmal zu zögern oder nach dem Weg zu fragen.«
»Ich habe sie heute im Lauf des Tages angerufen, um mir den Weg beschreiben zu lassen.«
»Angerufen?«
»Sie ist doch keine Außerirdische. Ihre Nummer steht im Telefonbuch.«
Ich nicke, völlig entspannt.
»Bis hierher ziehst du dich nicht schlecht aus der Affäre. Sehen wir mal, ob du auf alles eine Antwort hast … Du willst mir zu verstehen geben, daß du vorher noch nie einen Fuß über ihre Schwelle gesetzt hast?«
Irritiert setzt er seinen Suchkopf in Bewegung, um eine Schwachstelle in seinen Plänen zu orten. Seine Brauen ziehen sich zusammen. Als er nichts Kompromittierendes finden kann, schaut er mir wieder offen ins Gesicht, mit einer gewissen Aggressivität. »Genau.«
»Du hast also vor heute abend noch nie einen Fuß über ihre Schwelle gesetzt?«
Erneut trübt der Zweifel seine Züge, doch schnell faßt er sich wieder und beteuert: »Noch nie!«
»Dann erklär mir doch bitte, woher du wissen konntest, daß sich die Bibliothek am Ende vom Gang befindet, in der Halle links, mit tollen Büchern, einem Riesenfernseher und einem Videogerät drin!« Ein Detail nur, ein winziges, albernes, belangloses Detail …
Dine wird aschfahl. Als wäre er von eben auf jetzt völlig verdorrt. Sein Mund zittert, unfähig, auch nur ein Wort zu artikulieren, sein Adamsapfel bleibt ihm wortwörtlich im Hals stecken.
Mit Daumen und Zeigefinger mache ich »paff!« und steige aus. Ich bin schon im dritten Stock angelangt, als ich ihn anfahren höre.
7
Jemand hat mir einen Besuch abgestattet, während ich bei Madame Rym war. Er hat vergessen, hinter sich das Licht auszumachen. In meinem Wohnzimmer herrscht Chaos: Die Sessel sind umgestürzt, die Lampenschirme zerfetzt, der Teppich umgedreht. Mein klappriger Bücherschrank liegt am Boden, die Bücher sind übel zugerichtet, die Papiere aus den Schubladen überall verstreut. Im Schlafzimmer hat jemand ins Bett gepinkelt und Schweinekram an die Wände gekritzelt. Mit Lippenstift hat man eine zweisprachige Nachricht hinterlassen: Auf Arabisch fordert man mich auf, Verbindung mit dem nächsten Totengräber aufzunehmen; auf Französisch beschimpft man mich als Hurensohn und üble Brut.
Während ich noch die Schäden sichte, taucht ein Schatten in meiner Diele auf. Ich ziehe mein Schießrohr und spurte in den Korridor, den Finger am Abzug.
»Nicht schießen, Onkel Brahim.«
Es ist Fouroulou, der halbwüchsige Sohn einer Witwe aus dem sechsten Stock. Er hebt die Hände hoch, leichenblaß, zu Tode erschreckt von meinem Schießeisen.
»Für gewöhnlich klopft man, ehe man eintritt. Ich hätte dich umlegen können.«
Er nickt zustimmend und läßt die Arme wieder sinken.
Fouroulou ist eine Art Hans-Dampf-in-allen-Gassen. Es heißt, er schlafe nie. Ist erst siebzehn und schon ziemlich verbittert. Zu alt für die Schule, zu jung für eine feste Anstellung, zu allen Schandtaten bereit. Früher schaute er regelmäßig bei uns vorbei, um meinem Jüngsten lukrative Gelegenheitsjobs anzutragen, wie zum Beispiel den Handel mit Klamotten aus Marseille. In letzter Zeit hat er sich auf Zigaretten verlegt. Als fliegender Händler. Er betreibt an der Straßenecke einen zum Kleinkiosk umgebauten Schubkarren. Von früh bis spät klebt er auf seinem Hocker, mit ewig dudelndem Kassettenrekorder, macht die Mädels an und gewährt den Arbeitslosen aus der Siedlung großmütig Kredit.
Ich schiebe meine Pistole wieder ins Koppel. »Hast du sie gesehen?«
Er fährt sich mit den Fingern durch seinen Karottenschopf und nickt. »Wie spät war’s denn?«
»Hmm …«
Ich schließe erst einmal die
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