Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Tür ab, damit uns keiner stören kommt und biete ihm einen Küchenstuhl an. Er schenkt sich ein Glas Wasser ein, leert es in einem Zug aus und wischt sich mit dem Handgelenk über den Mund. Er wirkt verstört. Ich warte, bis er sich gefangen hat, ehe ich zu fragen beginne:
»Wie viele waren es denn?«
»Vier … drei waren in der Wohnung, der vierte hat unten an der Treppe Wache geschoben.«
»Und wo warst du?«
»Im fünften Stock. Ich habe meine Einnahmen gezählt. Sie waren zu Fuß, ich habe weder beim Kommen noch beim Gehen ein Auto gehört. Die Typen haben nicht lange auf dem Treppenabsatz rumgemacht. Sie hatten alle Schlüssel. Ich wollte erst die Nachbarn alarmieren, aber sie waren bewaffnet.«
»Kannst du sie mir beschreiben?«
»Sie waren verkleidet …«
»Wie denn?«
»Riesige Nasen, geschwungene Schnauzbärte, aufgeklebte Augenbrauen und Baskenmützen. Einer von ihnen hat kurz seine Perücke angehoben, um sich am Kopf zu kratzen. Die reinsten Kleiderschränke. Der Schwächste hätte noch immer locker hundert Kilo und mehr auf die Waage gebracht. Sie sind gut zehn Minuten drinnen geblieben und dann mit einem Einkaufskorb wieder rausgekommen. Sie hatten es kein bißchen eilig.«
»Haben sie irgend etwas geredet?«
»Eigentlich kaum.«
»Und was für Waffen hatten sie?«
»Ge…«
Er stockt, hat Mühe zu schlucken, gießt sich noch ein Glas Wasser ein und kippt es hinunter. Er schwitzt. Der Schweiß rinnt ihm von den Schläfen die Wangen hinunter und läuft am Kinn, welches lang ist und spitz, quasi trichterförmig, wieder zusammen.
»Ich kann sie nicht identifizieren, Onkel Brahim. Kenn mich nicht aus mit Waffen.«
»Macht nichts.«
Sein Gesicht, das von Sommersprossen übersät ist, läuft feuerrot an. Er springt fast auf, während er spricht: »Wenn ich ein Schießeisen dabei gehabt hätte, dann hätte ich sie garantiert durchlöchert. Ich habe mich so geschämt, tatenlos rumsitzen zu müssen, während die alles kaputtgemacht haben. Ich habe nicht mal ein Telefon, sonst hätte ich die Polizei gerufen.«
Ich tätschele ihm die Wange zum Beweis, daß ich ihm das wirklich nicht übelnehme.
»Du hast dir nichts vorzuwerfen, mein Junge. Diese Typen, das waren keine gewöhnlichen Taschendiebe. Die lassen sich von keiner Polizeisirene in die Flucht schlagen. Das waren Killer. Eiskalte Tötungsmaschinen, die jeden umlegen, ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht. Die hätten nicht gezögert, dir den Schädel zu spalten, wenn du dich hättest blicken lassen. Du hast dich klug verhalten, ich kann dir nur gratulieren. Und jetzt hoch zu deiner Mutter. Und zu keinem ein Wort.«
»Ich bin ihnen nach, weißt du?« Er läßt nicht locker, als schaffte er es nicht, sich von seinem Schuldgefühl zu befreien. »Hinter der Fußgängerbrücke hat ein Lieferwagen auf sie gewartet. Ein Renault J-5. Beige. Ich habe mir die Nummer notiert.«
Der polizeiliche Erkennungsdienst rückt in aller Herrgottsfrühe in meiner Bude an. Ich habe nichts angerührt. Um sie nicht zu behindern, verziehe ich mich in die Küche und tue so, als gäbe es mich nicht.
Lino kommt mit hängenden Mundwinkeln zu mir rüber. Meine Pechsträhne geht ihm derart nah, daß er nicht weiß, wie er die Sache anpacken soll. Er fürchtet meine Reaktion. Er setzt sich verkehrt herum auf einen Stuhl, stützt das Kinn auf die Lehne und versucht sich darin, meinen Blick zu bändigen.
Ich spüre seinen Kummer. Kein Zweifel, er leidet unter meiner Amtsenthebung, als wäre es eine Amputation.
Wieviele Jahre sind wir jetzt zusammen? Zehn, zwölf? Wieviel Leid haben wir schon geteilt, und wieviel Freud?
Er hat sich an mein Gebrüll gewöhnt, an meine Sprunghaftigkeit, meine Sprüche und mein Temperament, das Temperament eines Mannes, der frustriert ist, der nicht immer vernünftig handelt, aber immer aufrecht und unbeugsam. Gewiß, ich habe ihn automatisch zum Prügelknaben gemacht, habe ihm jedesmal, wenn mir die Dinge entglitten, die Schuld in die Schuhe geschoben; gewiß, ich habe ihn immer als kleinen Fisch behandelt und ihm jedes Verdienst aberkannt, aus dem einfachen Grund, weil man meine Verdienste auch ignorierte, doch ich bin ihm von Herzen zugetan, und das weiß er.
Die Kluft, die seine Generation von meiner trennt, die ewigen Konflikte, die sich daraus ergaben, meine ländliche Erziehung, die seinem coolen Charakter zuwiderlief, dem Charakter des Städters, der mit dem Nuckelfläschchen aufwuchs: All die Unvereinbarkeiten in
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