Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
der Mann mit den Schattenflügeln! Mazan fühlte seine Wut, seine Gewalt – und ihren Schmerz.
Dann vernahm er die doppelte Stimme des Mannes, kalt und grausam, düster und zornig. Zadira war dem Tod so nah. Aber noch lebte sie.
Noch.
Draußen schrien die Katzen, Rocky, Louise, Oscar. Hoffentlich schafften sie es, Atos und den Doktor herzulocken. Mit einem Mal hörte er im Garten etwas krachen. Im nächsten Moment näherten sich schwere Schritte im Flur der ersten Etage. Der Flügelmann.
Nein, nein!
Mazan sah zu dem Treppengeländer, unter dem die Kommode stand.
Und hatte eine Idee.
Er huschte ein Stück weiter. Machte sich sprungbereit. Er war nur ein Schatten im unbeleuchteten Flur.
Schon kamen die zornigen Schritte die Treppe herunter. Mazan spannte alle Muskeln an. Und zwang sich zu warten. Er musste exakt den richtigen Moment abpassen.
Der Flügelmann war jetzt auf halber Höhe der Treppe. Er hielt etwas Schwarzes in der Hand, etwas wie …
Jetzt!
Mit einem Satz sprang Mazan auf die Kommode, mit dem nächsten ansatzlos durch die Geländerstäbe auf die Treppe und gegen das Standbein des Mannes, dessen anderer Fuß sich gerade in der Luft befand. Mit aller Kraft hackte er seine Krallen in sein Fleisch. Der Mann zuckte zusammen, schrie auf. Mazan spürte, wie der schwere Körper aus dem Gleichgewicht geriet, und brachte sich blitzschnell auf den Stufen nach oben in Sicherheit. Von dort aus verfolgte er den Fall des Mannes.
Wie er mit den Armen ruderte und versuchte, das Geländer zu fassen. Doch er hatte noch das schwarze Ding in der Hand, das er erst jetzt losließ. Es polterte die Treppe hinunter. Der Mann stürzte ungebremst. Als er auf den Stufen aufschlug, brach seine Schulter. Er fiel weiter, schrie lauter. Dann blieb der Mann wimmernd mit verrenkten Gliedern am Fuß der Treppe liegen.
Da donnerte etwas gegen die Tür zum Garten. Holz splitterte. Glas klirrte. Ein erneuter Schlag, und die Tür flog auf.
»Zadira!«, rief Jules. Mazan hörte Atos’ heiseres Bellen.
Sie sind da!
Er hetzte die Stufen hoch, rannte durch den Flur zu dem Zimmer, in dem er Zadira roch.
Dann entdeckte er sie.
Sie saß auf einem Stuhl, die Arme daran festgebunden. Ihre Beine waren nach hinten abgeknickt und zitterten wie verrückt. Ihr Mund stand offen, der Atem zischte durch ihre Kehle, ihr Gesicht war dunkelrot. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihm entgegen. Dann sah er das Seil, das sich schon viel zu tief in ihren Hals eingegraben hatte.
Nein!
Er sprang auf ihren Schoß, stemmte sich mit den Vorderpfoten gegen ihre Brust, so dass ihr Gesicht direkt vor seinem war. Er sah ihr Entsetzen, ihre Angst, ihr Sterben. Da brach seine Verzweiflung hervor.
Und er schrie und schrie und schrie immer weiter, immer lauter.
Jules konnte Atos kaum noch halten, so wild gebärdete sich der Hund. Jeffrey eilte voraus in den Flur, von wo das schmerzerfüllte Heulen eines Mannes ertönte. Immer noch den Hund haltend, folgte Jules ihm.
Jeffrey stand am Fuß der Treppe, sein rechter Fuß fixierte die Pistole am Boden und damit auch die Hand des verletzten Mannes, die den Pistolengriff umklammerte.
» Bonjour, Monsieur Ugo«, sagte Jeffrey kühl. »Brauchen Sie vielleicht Hilfe?«
Dann löste er Ugos verkrampfte Finger von der Waffe und hob sie auf.
Jules erkannte mit einem Blick die gebrochene Schulter und wollte dem Verletzten in einem ersten Impuls zu Hilfe eilen. Aber dann hörte er die verzweifelten Katzenschreie aus dem Obergeschoss.
Jeffrey nahm ihm Atos ab, der Ugo drohend anknurrte.
Noch während Jules die Treppe emporeilte, ahnte er es. Die sauren Finger der Angst griffen nach seinen Eingeweiden. Ihm war schlecht und heiß zugleich.
Zadira, dachte er nur. Zadira!
Als er in das Zimmer gestürzt kam und ihren zuckenden Körper auf dem Folterstuhl sah, hochrot der Kopf, weit aufgerissen Augen und Mund, schlug Jules’ Angst in Entsetzen um.
Der Kater sprang von ihrem Schoß, als er zu ihr eilte. Er erfasste nicht sofort die perfide Art der Fesselung, aber dann packte er die beiden Seilhälften, die von ihrem Hals zu den Beinen verliefen und zog sie nach oben, so dass der Zug auf ihren Hals nachließ und Zadira wieder Luft bekam. Pfeifend sog sie den Atem ein. Das Zittern ihrer Beine, die nun von Jules gehalten wurden, ließ augenblicklich nach.
»O Gott, dieses Schwein«, flüsterte er verzweifelt. Er musste die Knoten an ihren Knöcheln lösen, um sie zu befreien. Dafür musste er aber das Seil
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