Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
der Titelseite des Le Dauphiné. Die Zeitung lag wie immer auf dem Tresen. Blandine hatte einen langen, intensiv recherchierten Artikel über den Ex-Söldner und Hotelier André Ugo alias Mattia Bertani verfasst, der achtzehn Jahre lang seine Rachepläne gegen César Alexandre und Victorine Hersant verfolgte, um seine erste und einzige Liebe zu rächen, die er selbst aus Eifersucht getötet hatte. Nur dass er auf dem Weg dorthin zum schizophrenen Frauenmörder geworden war, dem am Ende sogar beinah die mutige Polizistin aus Mazan zum Opfer gefallen wäre.
Darunter waren Fotos von ihr und Ugo. Unter ihrem stand: »Lieutenant Matéo fasste den Serienkiller«, unter seinem: »Er täuschte alle mit der Maske der Höflichkeit«.
Zadira hob ihr Glas und sah den Gästen ihres improvisierten Ausstandes ins Gesicht, als sie alle ihre Gläser mit Pastis, Bier, Rosé oder Limonade hoben.
Nur über Jules’ Lächeln ging sie hinweg.
Es ging nicht. Es ging einfach nicht!
»Nach nur fünf Wochen wollen Sie uns also schon wieder verlassen«, schimpfte Madame Roche. »Und für was?«
Für mich, hätte sie sagen können. Und für den Posten einer Capitaine in einer neu gebildeten Polizeiabteilung, zuständig für die Jugendfürsorge in den Banlieues von Marseille. Ob Gaspard davon wusste? Hatte er Zadira bei dieser Beförderung etwa unterstützt?
Verdammter Gaspard. Verdammte Liebe.
»Marseille ist eben meine Heimat«, antwortete Zadira auf Madame Roches Frage, aber es hörte sich lahm an.
Ja, sie sehnte sich nach dem Meer, dem Geruch der Straße, dem Lärm, dem Licht, nach den Bars und Restaurants und …
»Heimat ist dort, wo das Herz wohnt«, merkte die Roche altklug an und warf erst Zadira, dann dem neuen Tierarzt einen prüfenden Blick zu.
»Mein Lieber«, wandte sie sich an ihn. »Wie kommen Sie denn hier so zurecht? Dürfen wir hoffen, dass wenigstens Sie uns erhalten bleiben?«
Jules machte eine ratlose Geste.
»Ich weiß es nicht«, gestand er. »Jemand sagte mir mal, dass ich jederzeit zurück kann in meine alte Welt. Aber wissen Sie was?«, sagte er und bedachte Zadira mit einem kleinen Seitenblick. »Ich glaube, das ist eine Illusion. Es gibt kein Zurück. Und schon gar keine Welt, die auf einen wartet, ohne sich verändert zu haben.«
Zadira spürte Blandines Arm um ihre Taille. Dann flüsterte ihr die Reporterin zu: »Marseille kennst du. Bleib hier, werd Arztfrau, setz Kinder in die Welt und lös interessante Fälle, über die ich dann schreiben kann.«
»Da war endlich mal was los hier, und dann gehen Sie schon wieder«, schnaufte sich Sergeant Brell an ihre Seite.
»Stimmt. Das ist ein Skandal«, merkte Jean-Luc an, der dem Sergeant ein Bier brachte.
»Dabei hätten wir jemanden wie Sie so gut in der Frauen-Handballmannschaft gebrauchen können«, seufzte Madame Blanche.
»Denken wir an Julie«, sagte Zadira.
Sie tranken still auf das tote schöne Mädchen, das nur Mittel zum Zweck gewesen war und das in der vermeintlich schönsten Nacht seines Lebens alles verloren hatte.
Die Polizistin sah sich um.
Diese Menschen, die vor etwas mehr als einem Monat noch Fremde für sie gewesen waren. Fremde, die ihr ungewolltes Exil bevölkerten. Dieses Kaff! Unglaublich ruhig in der Nacht. Keine fünf Restaurants, zwei Bars und einen Pizzaservice. Jeder kannte jeden. Nicht einmal unbemerkt joggen konnte sie am Morgen, und jeder wusste genau, was sie bei Jean-Luc zum Frühstück aß.
Auf einmal brannten Tränen in ihren Augen. Sie entschuldigte sich und ging auf die Toilette.
Lange wusch Zadira sich das Gesicht. Was war denn nur los mit ihr? Marseille! Ein neuer Job, der wie geschaffen für sie war, der alles bot, was ihr wichtig war.
Ihr Handy summte.
»Das ist mein vorerst letzter Anruf in diesem Fall«, hörte sie Dr. Hervé sagen. »Alle Analysen bestätigen André Ugo als Täter. Sein Geständnis tut das Übrige. Der Prozess beginnt im Herbst. Werden Sie zur Aussage da sein?«
Nein, wollte Zadira sagen. Ich schließe das ganze Kapitel Versetzung, Norden, Vaucluse, Mazan ab. Alles, was damit zu tun hat. Alles. Und jeden.
»Ich weiß es noch nicht.«
»Der Mann wäre damit durchgekommen, wenn er es nicht so sehr damit übertrieben hätte, Alexandre zu belasten«, meinte Mathilde Hervé. »Seine Spurenparade war geradezu einzigartig und hätte mit ein bisschen Mühe sogar noch den Papst drangekriegt.«
»Sagen Sie, Doktor, aber diese inszenierten Spuren, die zu Dédé und zu diesem bedauernswerten
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