Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
zwei Gläser aus dem Schrank und stellte sie mit viel Getöse auf den Tisch. Dann wandte er sich der Flasche zu und riss die Goldfolie ab. Er zielte mit dem Korken in die hintere Ecke und ließ ihn knallen: Die Explosion schallte durchs ganze Haus und wärmte sein Herz.
    Da er die Flasche geschüttelt hatte, schäumte der Champagner nur so heraus und strömte ihm über die Hand. Eilends goss er etwas in das erste Glas, das gleich überlief, dann ins zweite, wo dasselbe geschah. Um die Gläser breiteten sich zwei kleine Pfützen aus.
    »Schnell, schnell«, sagte er und reichte ihr ein Glas. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stieß er mit ihr an, sagte »Cin, cin« und nahm einen großen Schluck. »Ah«, sagte er, wieder mit der Welt versöhnt. Dann trank er aus.
    »Was hast du?«, fragte Paola und nahm nun selbst ein Schlückchen. »Was tust du da?«
    »Beweismittel vernichten.«
    »Ach, du bist albern, Guido«, sagte sie, und vor Lachen stieg ihr der Champagner in die Nase, und sie musste husten.
    Vielleicht lag es am Champagner oder am Lachen oder an beidem, jedenfalls verlief das Mittagessen dann sehr behaglich. Chiara schien zufrieden, als ihre Mutter ihr versicherte, das Huhn sei ein freilaufendes Biohuhn gewesen und habe ein gesundes, glückliches Leben gehabt, und Brunetti, stets um Frieden bemüht, verkniff sich die Frage, woran man denn erkennen könne, ob ein Huhn glücklich gewesen war oder nicht.
    [133]  Chiara aß natürlich keinen Bissen von dem Huhn, ließ sich aber von den Versicherungen ihrer Mutter hinsichtlich der Lebensweise dieses speziellen Vogels so weit in ihren vegetarischen Grundsätzen beschwichtigen, dass sie die anderen Familienmitglieder nicht mit Kommentaren zu dem überaus widerwärtigen Akt provozierte, welchen der Verzehr besagten Huhns für sie darstellte. Ihrem Bruder Raffi lag nicht das Glück des Huhns, sondern nur sein Geschmack am Herzen.
    Als sie danach zum Kaffee ins Wohnzimmer gingen, fragte Brunetti, zutiefst erleichtert, dass niemand sich nach Signora Altavilla erkundigt hatte: »Was machen sie denn nun mit diesen Hühnern?«
    »Nicht mit dem, das wir gegessen haben, vergiss das nicht«, sagte Paola.
    »Also war das keine Lüge?«
    »Was?«
    »Das mit dem Biohuhn?«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte Paola noch nicht entrüstet, aber kurz davor.
    »Warum?«
    »Weil die anderen mit Hormonen und Chemie und Antibiotika und weiß Gott was sonst noch vollgestopft sind, und wenn ich schon Krebs kriege, dann lieber davon, dass ich zu viel Rotwein getrunken oder zu viel Butter gegessen habe, und nicht, weil ich zu viel Fabrikfleisch zu mir genommen habe.«
    »Glaubst du das wirklich?«, fragte er neugierig, nicht skeptisch.
    »Je mehr ich lese«, sagte sie und drehte sich auf dem Sofa [134]  zu ihm um, »desto mehr bin ich davon überzeugt, dass vieles von dem, was wir essen, in irgendeiner Weise verunreinigt ist.« Sie nahm ihm seinen Einwand aus dem Mund: »Ja, Chiara übertreibt ein wenig, aber im Prinzip hat sie recht.«
    Brunetti schloss die Augen und ließ sich in das Sofa sinken. »Anstrengend, sich ständig über diese Dinge Sorgen zu machen«, sagte er.
    »Ja, allerdings«, stimmte Paola zu. »Aber immerhin leben wir im Norden, da sind wir weniger gefährdet.«
    »Gefährdet?«, fragte er.
    »Du hast die Zeitungen gelesen, du weißt, wie es da unten zugeht«, sagte sie. Offenbar nicht geneigt, sich so kurz nach dem Essen über dieses Thema näher auszulassen, nahm Paola, wie er aus dem Augenwinkel sah, ihre Brille und wandte sich dem Buch zu, das sie aus ihrem Arbeitszimmer mitgebracht hatte.
    Brunetti setzte sich wieder auf und griff nach seinem eigenen Buch: Tacitus’ Annalen, die er seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr gelesen hatte. Und die er jetzt mit der Aufmerksamkeit eines Mannes las, der um eine Generation älter geworden war. Was Tacitus über die barbarischen Zustände seiner Zeit schrieb, schien Brunetti auch auf die Gegenwart zuzutreffen. Eine von Korruption verseuchte Regierung, die Macht in der Hand eines einzigen Mannes konzentriert, Geschmack und Moral fast bis zur Unkenntlichkeit verdorben: Wie vertraut das alles klang.
    Sein Blick fiel auf folgenden Satz: »Betrügereien, die, wie oft auch unterdrückt, stets durch tausendfache Künste wieder auflebten.« Er legte sein Lesezeichen ein und klappte das Buch zu. Diesen Nachmittag würde er nicht zur Arbeit [135]  zurückkehren, sondern stattdessen selbst ein wenig mogeln und einen ausgedehnten

Weitere Kostenlose Bücher