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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Öffentlichkeit so wenig wie möglich zu beunruhigen.
    Jemand kam von hinten näher und wünschte einen guten Tag. Brunetti drehte sich um und grüßte Signor Vordoni, der seinen Schlüssel ins Schloss steckte, die Tür aufmachte und Brunetti den Vortritt ließ. Brunetti dankte, hielt seinerseits dem Älteren die Tür auf, schloss sie leise hinter ihm und ging erst einmal zum Briefkasten, um nicht mit Signor Vordoni die Treppe hinaufgehen zu müssen.
    Der Briefkasten war leer, aber bis er ihn zugeklappt und wieder abgeschlossen hatte, war der Signore verschwunden. Brunetti ging nach oben, ohne den Essensgerüchen, die ihn auf jedem Absatz begrüßten, groß Beachtung zu schenken.
    Erst als er seine Wohnung betrat und ihm die Düfte von Kürbis und Huhn in die Nase stiegen, fand er sein Interesse an Nahrung und den Düften wieder, die sie verströmte.
    Paola saß am Küchentisch, in eine Zeitschrift vertieft: Im Lauf der Jahre hatte sie sich angewöhnt, Hefte und Zeitungen in der Küche zu lesen, Bücher in ihrem Arbeitszimmer und im Bett. »Streik an der Uni?«, fragte er, während er sich bückte und ihr einen Kuss gab. Sie drehte sich bei seinen Worten um, so dass sein Kuss nicht auf ihrem Scheitel, sondern auf ihrem Ohr landete. Beide störten sich nicht daran.
    »Nein«, antwortete sie. »Heute kam nur ein einziger meiner Studenten, da habe ich die Stunde ausfallen lassen und bin nach Hause gegangen.« Sie legte die aufgeschlagene Zeitschrift [130]  auf den Tisch, und Brunetti sah so etwas wie einen weißen Wirbelsturm, der fast die ganze obere Hälfte der linken Seite einnahm. »Was ist das?«, fragte er, nahm die Zeitschrift und hielt sie so weit von sich weg, wie seine Sehkraft es inzwischen verlangte. Paola reichte ihm ihre Lesebrille; er klappte einen Bügel ein und hielt sich die Gläser vor die Augen. »Hühner?«, fragte er. Er sah genauer hin. Hühner.
    Er ließ die Zeitschrift auf den Tisch sinken und gab ihr die Brille zurück. »Worum geht es?«
    »Einer der üblichen Horrorartikel, den man am besten gar nicht erst angefangen hätte, dann aber unbedingt zu Ende lesen muss. Was man denen antut.«
    »Es geht um Hühner? Horrorhühner?«, fragte er und lauschte dem verheißungsvollen Brutzeln, das aus dem Backofen drang.
    »Chiara hat es mitgebracht, ich soll das lesen.« Paola stützte ihren Kopf auf eine Hand und fragte: »Meinst du, das ist auch ein Zeichen dafür, dass sie unserem Einfluss entwachsen sind?«
    »Was?«
    »Wenn sie einen nicht mehr bitten, etwas zu lesen, sondern sagen, man soll das lesen?«
    »Schon möglich«, sagte er und ging zum Kühlschrank auf der Suche nach etwas, das den Hühnerhorror dämpfen könnte. In einer der Schubladen unten entdeckte er ein paar Flaschen Moët. »Woher kommt der Champagner?«, fragte er.
    »Von einem meiner Studenten«, antwortete sie.
    »Wie bitte?«
    »Ja. Er hat vor ein paar Tagen das Examen geschafft und mir ein paar Flaschen geschickt.«
    [131]  »Warum?«
    »Ich habe seine Dissertation betreut. Eine hervorragende Arbeit, es ging um die Metaphorik des Lichts im Spätwerk.« Brunetti schreckte auf: Jetzt hieß es, schnellstens einzugreifen. Wenn er nicht sofort etwas unternahm und sie von diesem Thema abbrachte, würde er sich einen unabsehbar langen Vortrag darüber anhören müssen, was irgendein von seiner werten Gattin betreuter Student über die Lichtmetaphorik im Spätwerk von Henry James geschrieben hatte. Angesichts der Tatsache, dass er sich erst kürzlich einer Unterredung mit Vice-Questore Giuseppe Patta hatte unterziehen müssen und gestern nur drei tramezzini - eines durch Mundraub ergattert - zu Mittag gegessen hatte, fand er, dass er keine Zeit verlieren durfte.
    »Wie viele Flaschen hat er dir geschickt?«, fragte er, um Zeit zu gewinnen.
    »Ein paar Kisten.«
    »Was?«
    »Ein paar Kisten. Drei oder vier, ich weiß nicht mehr.«
    So ist das, dachte Brunetti, wenn man aus einer adligen Familie stammt, die nicht nur eine lange Ahnenreihe, sondern auch enorme Reichtümer besitzt: Man verliert den Überblick, wie viele Kisten Moët man von einem Studenten geschickt bekommen hat.
    »Das ist Bestechung«, erklärte er, den bösen Polizisten spielend.
    »Was?«
    »Bestechung. Ich bin schockiert, dass du so was annimmst. Hoffentlich hast du ihm keine gute Note für seine Dissertation gegeben.«
    [132]  »Die beste. Die Arbeit war ausgezeichnet.«
    Brunetti vergrub stöhnend sein Gesicht in den Händen. Er zog eine Flasche heraus, nahm

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