Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
sagte ich bereits.«
»Warum?«
»Ihr Mann wurde verhaftet.«
»Weswegen?«
»Mord.«
»An wem?«
»An seiner Geliebten.«
»Ah«, entfuhr es Brunetti, aber dann fragte er: »Und?«
»Und deshalb konnte sie nach Hause zurück.« Wie Signora Orsoni das sagte, klang es wie eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht war es das ja auch.
»Wer kam dann?«
Er beobachtete, wie sie die Antwort formulierte. »Eine andere junge Frau, aber die war schon wieder weg, bevor Costanza gestorben ist.«
»Erzählen Sie mir von ihr«, bat Brunetti.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Nur was sie mir gesagt [206] hat.« Brunetti ermunterte sie mit einem nachdrücklichen Nicken. »Sie kam aus Padua. Hat an der Universität dort Wirtschaft studiert.« Signora Orsoni brach ab, und Brunetti wartete geduldig, bis sie fortfuhr: »Ihre Familie ist sehr ... traditionsbewusst.« Als er auf dieses Wort nicht reagierte, sagte sie: »Jedenfalls erzählte sie ihren Eltern, sie habe einen Freund ... aus Catania. Worauf die sie vor die Wahl stellten: er oder wir.« Sie schüttelte den Kopf, dass so etwas heutzutage noch möglich war. »Die Entscheidung war klar: Sie zog zu ihrem Freund.«
»Wie ist sie zu Signora Altavilla gekommen?«, fragte Brunetti, wenn auch nur, um zu zeigen, dass er sich nicht ablenken ließ und ihn an der Geschichte nur die junge Frau interessierte, ganz gleich, wie traditionsbewusst ihre Familie sein mochte.
»Vor ungefähr drei Wochen hat sie unser Büro in Treviso angerufen. Nachdem die Polizei ihr gesagt hatte, man könne nichts für sie tun.« Sie sah Brunetti an, der fragend das Kinn hob. »Der Freund. Sie sagte, es habe von Anfang an Ärger gegeben. Er sei eifersüchtig. Und gewalttätig: Er habe sie mehrmals verprügelt, aber sie habe Angst, die Polizei einzuschalten.« Sie stöhnte und zuckte resigniert mit den Schultern.
»Diesmal dachte sie, er werde sie umbringen: Das hat sie uns erzählt. Sie waren gerade in der Küche, als er auf sie losging, und um sich zu schützen, hat sie ihm das Nudelwasser über den Kopf gegossen.« Brunetti fiel auf, wie gleichgültig sie das schilderte.
»Und?«
»Sie ist rausgelaufen und hat die Polizei gerufen.«
[207] »Und was dann?«
»Die Polizei hat in der Wohnung mit ihm geredet, aber sonst nichts weiter unternommen.«
»Warum?«
»Weil Aussage gegen Aussage stand. Er behauptete, sie habe mit dem Streit angefangen und er habe sich nur verteidigen wollen.« Sie gab sich vergeblich Mühe, ihre Verachtung für die Polizei und ihren Zorn über männliche Vorurteile zu verbergen, äußerte jetzt aber endlich einmal selbst eine Meinung: »Im Übrigen ist sie eine Frau und er ein Mann.« Es überraschte Brunetti, dass sie nicht noch sagte: »Und er ist Sizilianer.«
Da Brunetti weiterhin schwieg, fuhr sie fort: »Sie lebten in Treviso, und wie gesagt, sie hat dann unser dortiges Büro angerufen, wo man meinte, hier in der Stadt könne ihr nichts passieren: Das sei weit genug weg.«
Brunetti dachte darüber nach und fragte schließlich: »Ist das die Darstellung der Polizei?«
Ihr Gesicht nahm einen verkniffenen Ausdruck an. »Ich habe mit jemandem in unserem Büro dort gesprochen, daher weiß ich das.«
Nach einer Weile fragte Brunetti: »Sie sagten, Signora Altavilla hat Ihnen seit mehreren Jahren geholfen?«
Die Frage war ihr offensichtlich unangenehm, aber nach einigem Zögern antwortete sie: »Ja.«
»Sie hat sich einer gewissen Gefahr ausgesetzt.« Da Maddalena Orsoni prompt protestieren wollte, beschwichtigte er: »Ich rede von einer theoretischen Gefahr. Aber sie war bereit, das auf sich zu nehmen.«
Die Signora nickte, sah weg, dann wieder ihn an.
[208] »Sie sagen, diese Frau ist nicht mehr dort«, sagte Brunetti. »Und in der Wohnung fand sich kein Hinweis auf sie.«
Wieder nickte Signora Orsoni.
»Könnte sie noch einmal in die Wohnung zurückgekommen sein?«
Maddalena Orsoni sagte mit ausdrucksloser Stimme: »Sie hatte damit nichts zu tun.«
»Wie kann ich wissen, dass das stimmt?«, fragte er.
»Weil ich es Ihnen sage.«
»Und wenn ich Ihnen nicht glaube?«
Während er auf ihre Antwort wartete, sah er, wie sie sich zum Gehen entschloss, sah es in ihren Augen und hörte es, als sie die Füße unter den Stuhl zog. Er hob mahnend eine Hand.
»Ihre Organisation ist ziemlich bekannt, ja?«, sagte er leutselig.
Das vermeintliche Kompliment entlockte ihr ein Lächeln. »Davon gehe ich aus«, sagte sie.
»Und ich nehme an, Sie bekommen
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