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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Ich habe Alba Libera gegründet und leite die Organisation von Anfang an.«
    »Wie lange ist das her?«, fragte er, ohne sich verwundert zu zeigen, dass sie auf jedes Vorgeplänkel verzichtete und gleich zur Sache kam.
    »Vier Jahre.«
    »Darf ich fragen, warum Sie Alba Libera gegründet haben?«
    [197]  »Weil mein Schwager meine Schwester getötet hat«, sagte sie. Bestimmt hatte sie diese Antwort schon oft gegeben, aber vielleicht ging es ihr auch darum, die Wirkung einer so brutalen Offenheit zu testen. Brunetti reagierte jedoch nur mit einem knappen Nicken, worauf sie fortfuhr: »Er war gewalttätig, aber sie liebte ihn. Er sagte, er liebe sie. Aber Gründe für seine Gewaltausbrüche gab es natürlich immer: Er hatte einen harten Tag gehabt; irgendwas stimmte mit dem Essen nicht; sie hatte einen anderen Mann angesehen.«
    Während sie das alles aufzählte, fragte er sich, wie oft sie das schon gesagt haben mochte, und musste daran denken, wie oft er selbst Rechtfertigungen dieser Art aus dem Mund von Schlägern, Vergewaltigern und Mördern gehört hatte.
    Der Barmann brachte das Bestellte. Brunetti wagte nicht, nach seinem panino zu greifen, solange ihre Worte noch zwischen ihnen schwebten.
    »Essen Sie nur«, sagte sie und schüttete etwas Zucker in ihre Tasse. Sie rührte langsam um und sah zu, wie er sich auflöste.
    Mit dem panino vor der Nase, das als Ersatz für das entgangene Mittagessen herhalten musste, knurrte Brunetti der Magen. Sie trank lächelnd ihren Kaffee aus und stellte die Tasse hin. »Bitte. Essen Sie.«
    Er versuchte es: Das Toasten hatte dem Geschmack des Fabrikbrots nicht nachgeholfen, ebenso wenig war es der Flitze gelungen, den Fabrikkäse zu schmelzen oder dem Kochschinken irgendeinen Geschmack zu verleihen. Pappe wäre noch schlimmer gewesen, dachte Brunetti. Er legte das panino auf den Teller zurück und nahm einen Schluck Wein. Der war immerhin akzeptabel.
    [198]  »Als es anfing, kam sie gar nicht auf die Idee, die Polizei einzuschalten«, fuhr Signora Orsoni fort: Brunetti erkannte, dass sie mit der Geschichte ihrer Schwester noch nicht fertig war. »Und später hat sie es aus Angst nicht getan. Erst als er ihr die Nase und dann noch einen Arm gebrochen hatte, ist sie zur Polizei gegangen.« Sie sah ihn prüfend an. »Die haben nichts unternommen.« Brunetti bat nicht um eine Erklärung. »Sie konnte nirgendwohin.« Als er sie fragend ansah, meinte sie: »Oder wollte nirgendwohin. Ich habe zu der Zeit in Rom gelebt, und sie hat mir nie erzählt, dass etwas nicht stimmt.«
    »Und die Familie?«
    »Davon waren nur noch zwei alte Großtanten übrig, und die wussten nichts.«
    »Freunde?«
    »Sie war sechs Jahre jünger, und wir haben nie zusammen dieselbe Schule besucht. Also hatten wir keine gemeinsamen Freunde.« Sie tat das mit einem Achselzucken ab. »So war es eben. Über so etwas reden Frauen nun mal nicht, oder?«
    »Nein, sicher nicht«, sagte Brunetti und nahm noch einen Schluck Wein.
    »Sie war Rechtsanwältin«, fuhr Signora Orsoni fort. Ihr schiefes Lächeln schien ihn zu bitten, er solle nur ja nicht glauben, sie denke sich das aus - also wirklich, so dumm kann ihre Schwester doch nicht gewesen sein. »Nachdem sie endlich die Polizei gerufen hatte, nach der Sache mit dem Arm, wurde er festgenommen, aber das Gefängnis war überfüllt, also bekam er Hausarrest.« Sie wartete, was der Vertreter der Ordnungsmacht dazu zu sagen hatte, doch Brunetti blieb stumm.
    [199]  »Schließlich ist sie ausgezogen und hat sich scheiden lassen, und als auch das ihn nicht abhielt, sie zu belästigen, hat sie eine gerichtliche Verfügung gegen ihn erwirkt, wonach er sich ihr höchstens noch auf einhundertfünfzig Meter nähern durfte.« Orsoni winkte dem Barmann und bat um ein Glas Mineralwasser.
    »Sie wollte wegziehen - die beiden lebten immer noch in Mestre. Sie hatte ihm die gemeinsame Wohnung überlassen, arbeitete aber noch in der Stadt, und ...« Brunetti fragte sich, wie sie herausbringen würde, was jetzt zu sagen war, etwas, das ihm schon viele Leute - zu spät - gesagt hatten. »Und anscheinend hatte sie keine Ahnung, wozu dieser Mensch fähig war.« Der Barmann brachte das Wasser. Sie dankte, trank das Glas halb aus und stellte es auf den Tisch.
    »Eines Abends ging er mit einer Pistole zu ihrer neuen Wohnung, und als sie die Tür aufmachte, schoss er auf sie. Dann schoss er noch dreimal, und dann schoss er sich selbst eine Kugel in den Kopf.« Brunetti erinnerte sich an den

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