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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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sie zu warnen und auf die Gefahr hinzuweisen; er dankte ihr, dass sie ihm zugehört hatte, und ging. Das war alles. Ihm lag nur daran, dass sie ihm glaubte. Er sagte, die meisten täten das nicht, weil er Sizilianer sei.« Sie hing ihren Worten lange nach, bis sie schließlich meinte: »Sie hat mir gesagt, er habe einen freundlichen Eindruck auf sie gemacht.«
    Ihr Gesicht war aschfahl, und Brunetti war taktvoll genug, ihre Erzählung nicht zu kommentieren. Stattdessen fragte er: »Und was weiter?«
    »Costanza bat mich, die Frau anzurufen und ihr zu sagen, dass ich mit ihr reden müsse.«
    »Und haben Sie das getan?«
    Jetzt brach ihr Zorn hervor. »Natürlich habe ich das getan. Was blieb mir anderes übrig?« Sie riss sich zusammen und fuhr fort: »Ich hatte ihr einen Job als Aushilfe bei einer alten Frau besorgt. Da brauchte sie eigentlich kaum etwas zu tun, nur Mittagessen machen und für alle Fälle in der Nähe sein.«
    [216]  »Verstehe«, sagte Brunetti. »Und dann?«
    »Ich bat sie, wenn um vier Uhr die Tochter der alten Frau nach Hause käme, solle sie sich bei mir melden, und sie sagte, das werde sie tun.«
    »Und?«
    »Als wir uns bei Costanza trafen, sagte ich ihr, wir müssten sie in eine andere Stadt bringen.«
    »Hat sie Ihnen geglaubt?«
    Sie zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«
    »Und weiter?«
    »Sie ist in ihr Zimmer gegangen und hat gepackt.«
    »Standen Sie daneben?«
    »Nein. Wir haben im Wohnzimmer gewartet, während sie ihren Koffer gepackt hat.«
    Sie wollte noch etwas sagen, aber etwas in Brunettis Miene ließ sie verstummen.
    »Sie hat keinen Verdacht geschöpft?«, fragte Brunetti.
    »Das weiß ich nicht. Ist mir auch egal.«
    »Und was war dann?«
    »Sie kam mit ihrem Koffer, verabschiedete sich von Costanza, gab ihr den Schlüssel, und dann haben wir die Wohnung verlassen.«
    »Und weiter?«
    »Wir haben das Vaporetto zum Bahnhof genommen, sind zusammen zum Fahrkartenschalter gegangen, und ich habe sie gefragt, wo sie hinmöchte.«
    »Sie wusste also inzwischen, was los war?«
    »Das nehme ich an«, sagte Signora Orsoni; ihre ausweichende Art regte Brunetti allmählich auf.
    »Und?«
    [217]  »Ich habe ihr ein Ticket für den letzten Zug nach Rom gekauft. Der fährt kurz vor halb acht.«
    »Haben Sie sie in den Zug einsteigen sehen?«
    »Ja.«
    »Haben Sie gewartet, bis er abgefahren ist?«
    Sie ließ ihrer Entrüstung freien Lauf. »Natürlich habe ich das. Aber was weiß ich - sie könnte ja in Mestre schon wieder ausgestiegen sein.«
    »Aber den Schlüssel hatte sie zurückgegeben?«
    »Costanza hat nicht mal drum bitten müssen«, sagte sie, und beinahe zufrieden: »aber vielleicht hat sie eine Kopie anfertigen lassen.«
    Brunetti ließ das unkommentiert.
    »Wie heißt sie?«, fragte er.
    Er sah sie zögern; wenn sie jetzt nicht antwortete, würde er sie zur Vernehmung auf die Questura bringen. »Ich will auch wissen, wie der Mann heißt. Der Sizilianer«, setzte er nach.
    »Gabriela Pavon und Nico Martucci.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Brunetti und stand auf. »Falls ich weitere Informationen brauche, werde ich Sie in die Questura bestellen.«
    »Und wenn ich nicht kommen will?«, fragte sie.
    Brunetti sparte sich die Antwort.

[218]  21
    E r war froh, sie los zu sein. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie wenig er sich für diese Frau hatte erwärmen können. Ihre Halbwahrheiten, Ausflüchte und Versuche, ihn zu manipulieren, hatten ihn irritiert; schlimmer noch, Signora Altavillas Ende schien die Orsoni nur insofern zu beschäftigen, als es Schuldgefühle in ihr weckte oder eine Gefahr für ihre grandiose Alba Libera darstellte. Wie wenig die sich aus Menschen machten, diese Leute, die sich dem Wohl der Menschheit verschrieben.
    In Gedanken versunken, machte er sich auf den Rückweg zur Questura und kam erst wieder zu sich, als er plötzlich merkte, wie sehr das Licht des Tages geschwunden war. Er sah auf die Uhr: schon kurz vor fünf. Eigentlich dumm, jetzt noch in die Questura zu gehen, doch er behielt die eingeschlagene Richtung bei, sah sich von oben wie ein Schaf zum heimischen Stall zurücktrotten.
    In der Questura fand er Signorina Elettra an ihrem Schreibtisch; sie las offenbar dasselbe Buch wie beim letzten Mal. Als sie ihn hereinkommen hörte, blickte sie auf, klappte das Buch gelassen zu und legte es beiseite. »Sie sehen aus wie jemand, der Arbeit mitbringt«, sagte sie lächelnd.
    »Ich habe eben mit der Leiterin von Alba Libera gesprochen«, sagte er.
    »Ah,

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