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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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getroffen, und sie erklärte sich bereit, uns zu unterstützen. Sie war Witwe, lebte allein, hatte ein Gästezimmer, und es gab noch drei andere Wohnungen in dem Haus.« Brunetti sah sie fragend an, und sie erklärte: »Das bedeutet, dass ständig Leute in dem Haus ein und aus gehen.«
    »Wann war das?«
    Sie legte den Kopf zur Seite und dachte nach.
    »Vor zwei, drei Jahren, würde ich sagen. Ich müsste in meinen Unterlagen nachsehen.«
    »Wo haben Sie Ihr Büro, wenn ich fragen darf?«, sagte Brunetti, obwohl das leicht zu ermitteln gewesen wäre.
    [203]  »Nicht weit von hier.«
    Die ausweichende Antwort verdross ihn. »Hat Signora Altavilla einmal etwas Ähnliches erlebt wie diese alte Frau - dass ein Mann zu ihr kam und den Verdacht hatte, sie habe jemanden bei sich versteckt?«
    Signora Orsoni legte ihre Hände auf den Tisch und verschränkte die Finger ineinander. »Sie hat nie etwas gesagt«, meinte sie. »Wir geben dazu klare Anweisungen. Jedes Vorkommnis ist unverzüglich zu melden - auch wenn es sich nur um einen Verdacht handelt. Aber nicht alle sind so klug wie diese alte Frau.« Sie lächelte müde.
    »Wissen Sie, ob Signora Altavilla jemals über irgendetwas beunruhigt war, was einer ihrer Gäste ihr erzählt hat?«
    Ihr Lächeln wurde freundlicher. »Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte sie.
    »Wie bitte?«, fragte Brunetti leicht verwirrt.
    »Dass Sie diese Frauen Gäste nennen.«
    »Ich habe den Eindruck, genau das sind sie«, ging er über ihren Ablenkungsversuch hinweg. »Also, hat ihr mal jemand etwas erzählt, das ihr Anlass zur Sorge gab?«
    Signora Orsoni hob das Kinn und atmete so geräuschvoll ein, dass Brunetti auf der anderen Tischseite es hören konnte. »Nein, nicht direkt. Das heißt, sie hat mir nie etwas in dieser Art berichtet.« Sie sah ihn prüfend an. »Normalerweise reden diese Frauen nicht viel.« Weiter erklärte sie nichts dazu, doch Brunetti hatte das Gefühl, sie habe noch mehr zu sagen.
    »Aber?«, soufflierte er.
    »Aber von woanders kam etwas«, sagte sie zu seiner abermaligen Verwunderung. »Von einer Frau, die bei ihr wohnte; die erzählte mir, Costanza mache sich Sorgen.«
    [204]  »Was genau hat sie gesagt?«, fragte Brunetti und gab sich Mühe, sein jäh erwachtes Interesse zu verbergen.
    Orsoni rieb sich die Stirn, um ihm zu zeigen, wie angestrengt sie nachdachte. »Sie sagte, als sie bei ihr einzog, machte Costanza einen recht gelassenen Eindruck auf sie, aber nach einigen Wochen kam Costanza einmal in die Wohnung zurück und schien sehr beunruhigt. Sie dachte, das gibt sich wieder, aber Costanza blieb in dieser Stimmung.«
    »Wo war sie denn gewesen? Wusste die Frau das?«
    »Sie sagte, Costanza habe immer nur entweder ihren Sohn oder die Leute im Pflegeheim besucht.«
    »Wann hat sie Ihnen das erzählt?«
    »Bei ihrer Abreise - als ich sie zum Flughafen gebracht habe. Das muss vor etwa einem Monat gewesen sein, also könnte Costanzas Stimmung sich seither wieder gebessert haben.«
    »Hat diese Frau Signora Altavilla darauf angesprochen?«
    Signora Orsoni breitete beide Hände aus. »Bedenken Sie die Dynamik solcher Situationen, Commissario. Sie nennen diese Frauen Gäste, aber das sind sie nicht. Sie leben im Verborgenen. Manche von ihnen gehen arbeiten, aber die meisten bleiben zu Hause und machen sich ständig Sorgen, wie es mit ihnen weitergehen soll.«
    Sie vergewisserte sich, dass sie seine volle Aufmerksamkeit hatte, und fuhr fort: »Diese Frauen haben schlimme Dinge erlebt, Commissario. Sie wurden geschlagen und vergewaltigt, Männer haben versucht, sie umzubringen; daher fällt es ihnen schwer, sich um die Probleme anderer Leute zu kümmern.« Sie schien sich zu fragen, ob er das nachvollziehen könne. »Diese Frauen können sich kaum vorstellen, [205]  dass Leute wie die, bei denen sie untertauchen - die ein Zuhause, Arbeit, keine finanziellen Probleme haben und keiner Bedrohung an Leib und Leben ausgesetzt sind -, dass auch solche Leute Probleme haben können.« Sie sah ihn über den Tisch hinweg an. »Das Erstaunliche ist also nicht, dass sie Costanza nicht nach dem Grund für ihre Unruhe gefragt hat, sondern dass sie die überhaupt wahrgenommen hat. Angst lähmt die Menschen«, sagte sie, und er musste an ihre Schwester denken.
    »Sie sagten, Sie haben sie zum Flughafen gebracht?«, fragte er.
    Ohne sich ihre Überraschung anmerken zu lassen, dass sie ihn nicht vom ursprünglichen Thema hatte ablenken können, meinte sie: »Sie ist abgereist. Das

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