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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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treffen: irgendwo in der Öffentlichkeit, wo sie sich sicher fühlen könne.« Sie verstummte, nahm aber nicht ihre Hände vom Gesicht.
    »Hat sie sich mit ihm getroffen?«, fragte Brunetti.
    Die Hände immer noch vorm Gesicht, bejahte sie.
    Da es wohl keine große Rolle spielte, wo sie sich getroffen hatten, fragte Brunetti: »Was wollte er?«
    Sie legte ihre Hände auf den Tisch und ballte sie zu Fäusten. »Er hat gesagt, er wolle sie warnen.«
    Das Verb überraschte Brunetti. Seine Gedanken überschlugen sich. Hing dieser junge Mann einem perversen Glauben an irgendeine verrückte sizilianische Vorstellung von Ehre an und wollte die alte Frau aus der Schusslinie bringen? Oder wollte er ihr eine Lügengeschichte über die Frau in ihrem Haus auftischen?
    [213]  »Was ist passiert?«, fragte er mit so ruhiger Stimme, als erkundige er sich nach der Uhrzeit.
    »Sie hat gesagt, er habe sie gewarnt.«
    »Vor sich selbst?«, fragte Brunetti, immer noch mit seinen wüsten Phantasien beschäftigt.
    Sie stutzte. »Nein, vor ihr.«
    »Vor der Frau?«, fragte Brunetti. »Vor der in ihrer Wohnung?«
    »Ja.«
    Wie ein Rugbyspieler hatte Brunetti kurz eine Bewegung angetäuscht und rannte jetzt mit dem Ball in die andere Richtung. »Was hat er ihr erzählt?«
    Ein Geräusch an der Tür lenkte beide ab; zwei Männer stießen die Eingangstür auf, warteten auf einen dritten, der noch seine brennende Zigarette auf die Straße warf, dann gingen sie alle drei an die Bar und bestellten Kaffee. Arbeiter, die Pause machten, ihre Stimmen schallten rauh und munter durch den Raum.
    »Signora?«, machte Brunetti sie wieder auf sich aufmerksam.
    »Dass sie ein Dieb sei, sie dürfe sie nicht bei sich zu Hause verstecken.« Brunetti merkte ihr an, wie schwer ihr diese Worte über die Lippen kamen. Er verstand das: Signora Orsoni engagierte sich mit aller Kraft, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Und jetzt das.
    »Was ist passiert?«
    Ihr blieb kein Ausweg mehr. Erst zögerte sie noch, dann räumte sie ein: »Er hatte recht.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Er hat ihr Zeitungsartikel gezeigt, Polizeiberichte.« Als [214]  sie Brunettis Überraschung bemerkte, erklärte sie: »Signora Altavilla hat sich unten auf dem campo mit ihm getroffen.«
    »Was stand in den Berichten?«, fragte Brunetti.
    »Alles über ihre Taktik. Sie geht in eine Stadt, angelt sich einen Mann, zieht entweder bei ihm ein oder lässt ihn bei sich wohnen. Dann fängt sie Streit mit ihm an und sorgt dafür, dass es in Gewalt ausartet. Und wenn die Polizei endlich kommt ...«, sie drückte sich die Fäuste in die Augen, entweder aus Scham oder weil sie nicht wollte, dass er ihre Miene sah, »... er sagte, das sei für sie das Günstigste gewesen: Wenn die Nachbarn die Polizei gerufen hätten.«
    Angespannt fuhr sie fort: »Sie war das Opfer, und die Polizei stellte den Kontakt zu einer Organisation her, die misshandelten Frauen hilft; so kam sie in eine sichere Wohnung und blieb dort, bis sie einen eigenen Schlüssel hatte und wusste, was dort zu holen war. Dann verschwand sie mit allem, was sie tragen konnte.«
    Ihr versagte vor Abscheu die Stimme, und Brunetti hörte Tassen klappern, herzhaftes Lachen, Münzen klimpern; die Tür ging auf, fiel zu, und die Arbeiter waren gegangen.
    In die wiederhergestellte Stille hinein sagte sie: »Er hat das Costanza erzählt, ihr die Berichte gezeigt und sie angefleht, ihm zu glauben.«
    »Und die Verbrennungen?«, fragte Brunetti. Sie sah ihn verwirrt an. »Von dem Nudelwasser«, erklärte er.
    Sie fuhr mit dem Fingernagel in einer tiefen Furche in der Tischplatte hin und her. »Costanza hat erzählt, er habe immer noch gehumpelt, diese Geschichte aber nicht mehr erwähnt.«
    Sie stand auf, ging zur Bar, kam mit zwei Gläsern Wasser zurück, stellte ihm eins hin und setzte sich wieder.
    [215]  »Wann war das, Signora?«, fragte er.
    Sie trank ihr Glas halb aus, stellte es auf den Tisch und sah Brunetti lange an, ehe sie antwortete: »Einen Tag bevor Costanza gestorben ist.«
    »Wie haben Sie davon erfahren?«, fragte er; das Wasser interessierte ihn vorerst nicht.
    »Sie hat mich angerufen. Costanza. Sie rief mich an, als sie nach dem Gespräch mit dem Mann nach Hause kam, und bat mich - flehte mich an -, zu ihr zu kommen.« Ihr Atem ging wieder schneller. »Als ich dann bei ihr war, gab sie mir die Zeitungsartikel und Polizeiberichte zu lesen.«
    »Wo ist der Mann abgeblieben?«
    »Sie hat mir erzählt, ihm sei es nur darum gegangen,

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