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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Kaffee aus, stellte die Tasse in die Spüle und ging duschen.
    Vierzig Minuten später lehnte er bei San Lorenzo am Geländer; während er den Booten zusah, versuchte er, sich zurechtzulegen, wie er Patta überreden konnte, sich aktiver für eine offizielle Untersuchung des Todes von Signora Altavilla einzusetzen. Er dachte an Justizia, die Statue mit den verbundenen Augen und den Waagschalen in der Hand. In die eine Schale legte er die Worte »nur eine Möglichkeit«, in die andere das Aufsehen, das die Nachricht vom Mord an einer Frau in ihrer eigenen Wohnung erregen würde. Nach so vielen Jahren wusste er genau, wie sein Vorgesetzter funktionierte: Patta würde als Erstes an den Imageschaden für [249]  die Stadt und als Zweites an den Schaden für den Tourismus denken.
    »Wie wird sich das auf den Tourismus auswirken?«, hielt Patta ihm eine halbe Stunde später empört entgegen - eine unerwartete Änderung der Rangfolge seiner Sorgen. Der Vice-Questore hatte ihm unter Aufbietung aller Willenskräfte zugehört, dann aber diesen neuesten Spinnereien seines ewig aufmüpfigen Untergebenen ein Ende gemacht. »Was sollen wir den Leuten erzählen? Dass sie nicht mal in ihren eigenen vier Wänden sicher sind, aber sich trotzdem eine schöne Zeit machen sollen?«
    Brunetti, die rhetorischen Übertreibungen und logischen Widersprüche seines Vorgesetzten mehr als gewohnt, verkniff sich den Hinweis, dass Reisende sich im Allgemeinen nicht in ihren eigenen vier Wänden aufhielten, ganz unabhängig davon, ob sie darin sicher waren oder nicht. Er versuchte es mit einem möglichst weisen Nicken.
    Brunetti sah Patta in die Augen - der hasste es, wenn jemand sich nicht voll und ganz auf ihn konzentrierte, denn für ihn war das ein erstes Anzeichen von Unbotmäßigkeit - und machte ein Gesicht, als halte er die Einwände seines Vorgesetzten für erwägenswert. »Ja, ich verstehe, Vice-Questore«, sagte Brunetti. »Ich hoffe nur, dass Dottor Niccolini ...«, er verstummte, als stünden seine Worte auf einer Tafel und er wische sie hiermit aus.
    »Was ist mit ihm?«, fragte Patta und funkelte ihn argwöhnisch an.
    »Nichts, Signore«, wich Brunetti aus, weil er nicht wusste, ob er besser unsicher wirken sollte oder so, als gebe er auf.
    »Was ist mit Dottor Niccolini?«, fragte Patta exakt in dem [250]  schneidenden Ton, den Brunetti zu provozieren versucht hatte.
    »Nun, eben dass er Arzt ist, Signore. So hat er sich mir im Krankenhaus vorgestellt, und entsprechend hat Rizzardi sich ihm gegenüber verhalten.« Das war frei erfunden, aber nicht unwahrscheinlich.
    »Und?«
    »Man hat ihn gebeten, den Leichnam seiner Mutter zu identifizieren«, erklärte Brunetti und versuchte, es so klingen zu lassen, als deute er etwas an, das er aus Taktgefühl lieber verschweigen würde.
    »Die Leute bekommen nur das Gesicht zu sehen«, behauptete Patta, schien sich dann aber nicht mehr so sicher: »Oder?«
    Brunetti nickte. »Selbstverständlich«, sagte er, als wolle er das peinliche Thema beenden.
    »Was soll das heißen?«, fragte Patta gereizt; Brunetti, der ihn seit Jahren kannte, hörte Unsicherheit heraus.
    Er senkte den Blick auf seine Hände, die er artig im Schoß gefaltet hielt, und sah Patta dann direkt in die Augen: immer die beste Taktik beim Lügen. »Man wird ihm die Abdrücke gezeigt haben, Vice-Questore«, sagte er. Und bevor Patta sich genauer danach erkundigen konnte, fuhr er fort: »Und da er Arzt ist, wird man ihm deren Bedeutung erklärt haben. Also, worauf sie hindeuten könnten.«
    Patta überlegte. »Sie meinen, dazu wäre Rizzardi tatsächlich imstande?«, fragte er, sichtlich unzufrieden damit, dass der medico legale jemanden ins Vertrauen gezogen haben könnte.
    »Unter Kollegen dürfte er das für das korrekte Vorgehen gehalten haben«, meinte Brunetti.
    [251]  »Aber er ist doch nur Tierarzt«, schäumte Patta verächtlich und vergaß dabei nicht nur, was dieser für den Husky seines Sohns getan hatte, sondern auch, wie oft er selbst schon seiner Überzeugung Luft gemacht hatte, jeder hergelaufene Veterinär sei beruflich besser qualifiziert als sämtliche Ärzte am Ospedale Civile.
    Brunetti nickte, sagte aber lieber nichts. Schweigend sah er Patta beim Denken zu, wie er die Chancen und Risiken abwog. Niccolini war eine unbekannte Größe: Er arbeitete außerhalb der Provinz Venedig und hatte womöglich Beziehungen zu höheren Kreisen, von denen Patta nichts wusste. Tierärzte waren oft für Bauern tätig, und

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