Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
betrachtete nur versonnen sein Glas und sagte: »Ich kapiere nicht, was das mit dem Champagner soll.«
    Paola stellte erst ihm und Chiara turbanti hin, dann füllte sie zwei Teller für Brunetti und sich selbst. »Was verstehst du nicht?«, fragte sie, nachdem sie sich gesetzt und einen Schluck [243]  genommen hatte, als wollte sie den Geschmack noch einmal überprüfen.
    »Warum die Leute so verrückt danach sind«, sagte Raffi, schob das Glas zur Seite und griff nach seiner Gabel.
    »Alles Snobs«, sagte Chiara, den Mund voll Fisch.
    »Chiara«, mahnte Paola, und Chiara nickte und nahm zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, die Hand vor den Mund. Sie schenkte sich Mineralwasser ein, trank ein wenig, legte die Gabel ab und sagte: »Alles Snobs.« Brunetti fiel auf, dass ihr Gesicht nicht mehr so rundlich war, markantere Züge angenommen hatte, die die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter noch frappierender machten.
    »Und das heißt?«, fragte Raffi und machte sich über sein Essen her.
    »Die wollen nur Eindruck schinden«, sagte Chiara. »Was für kultivierte Leute sie sind, und was für einen erlesenen Geschmack sie haben.« Bevor Raffi dazu etwas sagen konnte, meinte sie: »Das tun die Leute doch ständig, mit allem. Autos, Kleidung, was sie alles angeblich gut finden.«
    »Warum sollte man sagen, dass man etwas mag, wenn das gar nicht stimmt?«, fragte Raffi. Brunetti hatte das Gefühl, der Junge sei aufrichtig verwirrt; schon fragte er sich, ob ihr Sohn seine Freizeit in den letzten Jahren ohne ihr Wissen auf einem anderen Planeten verbracht hatte.
    Chiara legte ihre Gabel hin, stützte das Kinn in eine Hand und starrte ihren Bruder an. Der ignorierte sie. Schließlich sagte sie: »Aus demselben Grund, warum man unbedingt Tod’s haben will und nicht irgendwelche anderen Schuhe.«
    Raffi aß, ohne aufzublicken, weiter.
    »Oder warum die Eltern meiner Freunde alle denken, sie [244]  müssten im Urlaub auf die Malediven oder Seychellen fliegen«, beharrte sie.
    Raffi goss sich Wasser ein, trank aus und stellte das Glas auf den Tisch. Den Champagner rührte er nicht an. Er schob seinen Stuhl zurück, drehte sich zu seiner Schwester herum und hob ihr einen Fuß entgegen. »Diesen Sommer für neunzehn Euro auf dem Lignano-Markt gekauft«, sagte er stolz und schwenkte den Fuß im Kreis, damit sie den Schuh von allen Seiten bewundern konnte. »Kein Tod’s, keine Marke.« Er ließ den Fuß sinken, setzte sich wieder richtig hin, nahm seine Gabel und aß weiter.
    Chiara sah geknickt zu ihren Eltern hinüber. Wäre sie ein Junge, hätten sie und Raffi eine Rangelei angefangen, und Brunetti dachte, dann wäre er eingeschritten, um die Schwächere zu schützen. Aber warum eilte ihr niemand zu Hilfe, wenn der Gegner nur mit Worten kämpfte?
    Brunetti hatte sich nach eigener Einschätzung in seiner Jugend nicht öfter geprügelt als alle anderen, und nie war es dabei über ein paar Schläge und Rempeleien hinausgegangen. Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals verletzt wurde oder andere verletzt hatte, keine einzige Schlägerei war ihm deutlich im Gedächtnis geblieben. Aber noch immer erinnerte er sich daran, wie Geraldo Barasciutti, der in Mathe neben ihm saß, ihn eines Nachmittags ausgelacht hatte, als Brunetti aus Versehen eine venezianische Präposition im Italienischen benutzt hatte.
    »Was soll das denn? Ist dein Vater Hafenarbeiter oder was?«, hatte Geraldo gefragt und ihn in die Rippen gestoßen.
    Er hatte das als Scherz gemeint: Die Kinder wechselten ständig zwischen den beiden Sprachen hin und her. Und doch [245]  traf er Brunetti damit im Innersten seines Selbstgefühls - das ohnedies schon angeschlagen war, weil er die abgelegten Schuhe und Jacken seines Bruders austragen musste -, denn sein Vater hatte tatsächlich einmal im Hafen gearbeitet. Dieser Tag und diese Bemerkung waren seine schlimmste Erinnerung an Kindheitstage. Sein Studium, seine Stellung als Commissario der Polizei, das Ansehen und der Reichtum der Familie seiner Frau: All dies konnte von der Erinnerung an diese Worte und das Körnchen Wahrheit darin in Frage gestellt werden.
    »Für mich ist nur seltsam«, sagte Brunetti und schwenkte sein Glas in Raffis Richtung, obwohl er zu Chiaras Verteidigung ansetzte, »dass ich den Unterschied zwischen dem hier und dem Prosecco, den wir täglich trinken, wahrscheinlich gar nicht herausschmecken könnte.«
    » Täglich ?«, fragte Paola, aber da hatten Brunetti und seine Tochter sich schon durch

Weitere Kostenlose Bücher