Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
wird er für uns da sein?«, fragte Brunetti. »Montag, Mittwoch, Freitag? Und die Regierung in Rom ist Dienstag, Donnerstag und Samstag dran?« Er nahm einen [240] Schluck. »Jeder vernünftige Mensch würde das als Beleidigung ansehen, sowohl für die Nation als auch für die Stadt.«
Sie zuckte die Schultern. »Hat der Vorige nicht auch seine Jobs in Brüssel und an der Uni behalten?«
»Wir werden von einer Heldenrasse regiert«, verkündete Brunetti und zog die Kühlschranktür auf.
»Du glaubst wohl, wenn wir die Flasche nur schnell genug austrinken, schlagen wir all diese Gespenster in die Flucht?« Sie trank aus und hielt ihm ihr Glas hin.
Er schenkte ein, wartete, schenkte nach und sagte: »Nur vorübergehend. Die kommen immer wieder, wie die Kakerlaken, aber wenigstens sehen wir sie dann durch schäumenden Champagner.«
»Was meinst du«, sagte sie in vertraulicherem Ton, »gibt es irgendwo auf der Welt noch ein Volk, das seine Politiker so sehr verachtet wie wir?«
Er füllte sein Glas und antwortete: »Oh, ganz bestimmt, außer vielleicht in Skandinavien und der Schweiz.«
Sie ging auf seinen Sarkasmus ein und fragte: »Aber?«
Brunetti betrachtete das Foto in der Zeitung. »Aber wir haben mehr Grund dazu als die meisten, denke ich.« Er nahm einen großen Schluck.
»Ich frage mich oft, auf was für einem Planeten die eigentlich zu leben glauben«, sagte Paola, faltete die Zeitung zusammen und schob sie zur Seite. »Sie sprechen wie Außerirdische, sie kennen keine Leidenschaften außer Habgier und ...«
»Wenn du ihre Leidenschaften aufzählst, vergiss nicht die momentane für Transsexuelle«, sagte er politisch möglichst korrekt und in der Hoffnung, sie aufzuheitern, auch wenn [241] ihm nicht ganz klar war, was das Thema Transsexuelle dazu beitragen könnte.
»Nach deren moralischen Vorstellungen steht diese tote Transsexuelle - wie hieß die Ärmste noch gleich? - auf einer Stufe mit Mutter Teresa.«
»Diesen Vergleich dürften viele fromme Leute als anstößig empfinden«, sagte er.
Sie dachte darüber nach und meinte schließlich: »Du hast recht. Sogar ich finde das anstößig. Aber bei so etwas gerate ich einfach außer mir.«
Er küsste sie auf den Mund. »Ich weiß, cara, aber auch das zählt zu den Dingen, womit du mein Herz erobert hast.«
»Oh, lass das, Guido«, sagte sie und hielt ihm ihr Glas hin. »Gib mir noch ein bisschen, ich setze inzwischen das Wasser für die Pasta auf.«
Er stellte ihr das gefüllte Glas hin, half dann beim Tischdecken und vernahm zu seiner Freude, dass beide Kinder da sein würden. Was für Streiche uns das Leben spielt, dachte er, während er die Servietten faltete und neben die Teller legte. Als Raffi gerade gelernt hatte, mit ihnen am Tisch zu sitzen, und beim Essen so viel auf Tisch oder Boden verteilte, wie er schlürfend und kleckernd in den Mund bekam, und nie so recht wusste, was er mit seiner Gabel anfangen sollte, hatte Brunetti sein Verhalten keineswegs als entzückend empfunden, sondern als ständige Störung bei seinem eigenen Essen. Jetzt, Jahre später, konnte er nur noch hoffen, dass der Junge - längst ein Meister im Umgang mit der Gabel - gelegentlich noch Zeit fand, mit ihnen zu essen, statt sich bei irgendwelchen Freunden herumzutreiben. Dabei ging es ihm gar nicht darum, ob sein Sohn besonders geistreiche [242] Bemerkungen zur Unterhaltung beisteuerte oder nicht. Es machte Brunetti einfach Freude, die Seinen um sich zu haben und zu wissen, dass sie wohlauf und versorgt waren.
»Hast du was?«, fragte Paola hinter ihm.
»Hmmm?« Brunetti drehte sich zu ihr um.
»Du stehst da und starrst den Tisch an, und ich dachte, es stimmt was nicht«, sagte sie.
»Nein, nein. Ich habe nur nachgedacht.«
»Ah.« Offensichtlich hörte sie das nicht zum ersten Mal. »Wie wär’s mit noch einem Schluck, bevor die Kids eintrudeln?«
Mit Pawlowschem Reflex war Brunetti am Kühlschrank. »Die Grazie deiner Gedanken wird allein von der deiner Sprache übertroffen«, sagte er.
Lächelnd hielt sie ihm das leere Glas hin. »So ergeht es einem, wenn man mit zwei Teenagern zusammenlebt.«
Am Ende blieben sogar noch zwei Gläser Champagner für die Kinder übrig.
»Was feiern wir?«, fragte Raffi und griff nach seinem Glas.
»Um Champagner zu trinken, muss man nichts zu feiern haben«, erklärte Chiara, als habe sie schon bergeweise Magnumflaschen geleert. Sie hob ihr Glas, stieß mit Raffi an und nahm einen Schluck.
Raffi trank nicht,
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