Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
gemacht?«
»Nein«, sagte Turchetti allmählich gereizt. »Er bestand darauf, sie mir einzeln zu bringen.« Offensichtlich zufrieden mit dem, was er erreicht hatte, fügte er hinzu: »Er dachte wohl, auf die Weise mehr dafür herauszuschlagen.« Ihm war anzuhören, wie weit Morandi damit gekommen war.
Brunetti tat Turchetti nicht den Gefallen, darauf zu reagieren, sondern fragte weiter: »Was noch?«
»Wollen Sie wirklich alles wissen?«, fragte Turchetti mit wohldosierter Überraschung und höchst gewinnendem Lächeln.
Brunetti klemmte den Füller bedächtig in sein Notizbuch und klappte es zu. Dann sah er Turchetti an und sagte: »Vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt, Signore.« Er verzog die Lippen zu etwas, das kein Lächeln sein sollte. »Ich habe eine Aufstellung von Geldbeträgen und Daten, und ich möchte wissen, was er Ihnen für das Geld, das er bekommen hat, gegeben hat.«
»Und ich nehme an, Sie haben die Befugnis, solche Informationen einzuholen?«, fragte Turchetti. Beider Lächeln war spurlos verschwunden.
[276] »Erstens kann ich mir die Befugnis jederzeit besorgen«, sagte Brunetti, »und zweitens weiß ich meinen Schwiegervater an meiner Seite.«
Turchetti konnte seine Verblüffung nicht verbergen, so wenig wie sein Unbehagen. »Was soll das heißen?«
»Wenn ich ihn darauf hinweise, dass einige Gegenstände in dieser Galerie von zweifelhafter Herkunft sind, wird er garantiert alle seine Freunde fragen, ob sie davon auch schon gehört haben.« Er wartete kurz und fügte dann hinzu: »Und die rufen dann vermutlich ihre Freunde an. Und so weiter.« Brunetti schlug das Notizbuch wieder auf. Er beugte sich darüber und fragte: »Was noch?«
Turchetti diktierte ihm mit einer Präzision, die Brunetti beispielhaft fand, eine Liste von Zeichnungen und Stichen, ungefähren Daten und Verkaufspreisen. Brunetti schrieb fleißig mit, erst neben die Namen von Chiaras Lehrern, dann weiter auf einer leeren Seite. Als Turchetti fertig war, machte Brunetti sich nicht die Mühe, ihn zu fragen, ob das jetzt auch wirklich alles sei. Er klappte das Notizbuch zu, steckte es zusammen mit dem Füller ein und stand auf. »Haben Sie alles verkauft?«, fragte er nur zur Sicherheit. Die Bilder hatten bestimmt längst den Besitzer gewechselt, und selbst wenn es rechtlich möglich wäre, sie zurückzufordern, müssten sie erst einmal gefunden werden.
»Nein. Zwei sind noch da.« Brunetti sah, dass Turchetti noch etwas sagen wollte, sich zurückhielt, dann aber doch damit herausrückte. »Warum? Muss ich Ihnen jetzt eins davon geben?«
Brunetti drehte sich auf dem Absatz um und verließ die Galerie.
[277] 26
N a schön, na schön. Brunetti ging Richtung Brücke. Der Dillis war vierzigtausend wert, und der arme dumme Morandi bekam vier. Und warum überhaupt hielt er Morandi für arm und dumm? Weil der Salathé fast genauso viel wert war und er sich von Turchetti mit drei abspeisen ließ?
Brunetti mochte von seinen moralischen Grundsätzen noch so überzeugt sein - wirklich erklären konnte er sie nicht einmal sich selber. Er hatte die Griechen und Römer gelesen und wusste, was sie von Gerechtigkeit dachten, von Recht und Unrecht, vom Gemeinwohl und vom Wohl des Einzelnen, und er hatte auch die Kirchenväter gelesen und war mit deren Vorstellungen vertraut. Er kannte die Regeln, aber sobald es konkret wurde, kamen ihm die jeweiligen Umstände und die Individualität der Leute in die Quere, so dass er sich, je nach ihrer Gesinnung oder Gemütslage und nicht unbedingt in Einklang mit den Regeln, mal für und mal gegen sie entschied.
Morandi mochte einmal ein Rüpel gewesen sein, doch Brunetti hatte gesehen, wie rührend er die einsame alte Frau zu schützen versucht hatte, und konnte daher nicht glauben, dass Morandi sie lediglich davon abhalten wollte, mit Brunetti zu reden; eher schien ihm, Morandi habe verhindern wollen, dass irgendjemand das bisschen Frieden störte, das ihr noch geblieben war.
Er wartete auf die Nummer zwei, beobachtete die Leute [278] auf der Brücke und die Boote, die in beiden Richtungen vorbeifuhren, eins davon randvoll mit den Habseligkeiten und vielleicht auch den Hoffnungen einer Familie, die gerade umzog. Nach Castello? Oder links ab und zurück nach San Marco? Auf einem Tisch, der schwankend auf einem Stapel Pappkartons im Bug des Bootes balancierte, stand ein zottliger schwarzer Hund und reckte tapfer die Nase nach vorn wie eine Galionsfigur. Wie Hunde Boote
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