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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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durchgestellt wurde.
    »Ah, Dottor Brunetti«, ertönte eine tiefe Stimme, »Conte Orazio hat oft von Ihnen gesprochen.«
    »Von Ihnen auch, Dottore«, erwiderte Brunetti salbungsvoll.
    »Womit kann ich Ihnen dienen?«, fragte Turchetti nach kurzem Zögern.
    »Hätten Sie Zeit, mit mir über einen Ihrer Kunden zu sprechen?«
    »Selbstverständlich«, sagte er leichthin. »Um wen geht es denn?«
    »Das sage ich Ihnen gleich, bin schon auf dem Weg.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte Brunetti auf und verließ sein Büro.
    [270]  Brunetti nahm die Nummer eins, stieg an der Accademia aus und wandte sich nach links in Richtung Guggenheim-Museum. Er entdeckte die Galerie noch vor der ersten Brücke, sah sich erst einmal die Bilder im Schaufenster an und ging dann hinein. Der Raum war ziemlich groß, die niedrige Decke geschickt kaschiert durch die Spots, die von den Wänden nach oben strahlten. Zusätzlich trug das vom Kanal reflektierte Licht zu dem geräumigen Eindruck bei.
    Ein Mann, den Brunetti schon öfter auf der Straße gesehen hatte, kam hinter einem mit Katalogen bedeckten Tisch im Hintergrund der Galerie hervor. Von der Frau, mit der er am Telefon gesprochen hatte, war nichts zu sehen.
    »Ah, Dottor Brunetti.« Turchetti kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. Von Gestalt war er, was man am besten mit »robusto« beschreibt, nicht besonders groß und relativ kompakt. Bei einem größeren Mann hätte man seine forschen Bewegungen als beeindruckend empfunden; so aber wirkte er leicht aggressiv, als müsse sich die in einen so kleinen Körper gestopfte Energie ein Ventil suchen. Er hatte ein sehr breites Gesicht, dunkle Augen und eine schief stehende Nase, die den streitsüchtigen Eindruck noch verstärkte.
    Turchetti hatte ein offenes und angenehmes Lächeln, das sich auch in seinen Augen spiegelte, und doch konnte Brunetti darin nur das Lächeln eines Verkäufers sehen. Sein Händedruck war kräftig, aber nicht übertrieben. Sein Revers war handgenäht. »Wie kann ich Ihnen helfen, Dottore?«, fragte er, und zu Brunettis Überraschung klang es so, als meine er das ernst.
    Bevor Brunetti antwortete, ließ er den Blick durch die Galerie schweifen. An der Wand links von ihm hing ein kleines [271]  Porträt der heiligen Katharina von Alexandrien; den Kopf nach oben gerichtet, sah sie Martyrium und Seligsprechung entgegen, während eine Hand verräterisch an ihrer Perlenkette festhielt. Sie trug bereits ihre Märtyrerkrone, aber auch die war durch eine Reihe eingelegter Perlen kompromittiert. Ihre Rechte lag achtlos auf dem Rad, mit dem sie gefoltert werden sollte, der Palmwedel fiel ihr schon fast aus den Fingern. Wofür entscheidest du dich, Mädchen? Erde oder Himmel? Genuss oder Erlösung? Von Zweifeln hin- und hergerissen, ihre Miene ein Inbegriff des Schwankens, starrte sie in einen Lichtstrahl in der oberen Ecke des Gemäldes.
    »Reizend, nicht wahr?«, meinte Turchetti. Er baute sich vor dem Bild auf, um es eingehend zu betrachten. »Ich lasse sie nur ungern gehen«, sagte er, als könne die Frau tatsächlich selbst entscheiden, wann sie ihre Röcke zusammenraffte und aus der Galerie entschwand.
    Der Händler wandte sich von dem Gemälde ab und fragte: »Sie interessieren sich also für einen meiner Kunden?«
    »Ja. Benito Morandi.«
    Turchettis Blick verriet ihn. Er kniff die Mundwinkel zusammen, als erinnere ihn der Name an einen unangenehmen Geschmack. »Ah«, stöhnte er, ob überrascht oder weil er sich erinnerte, war schwer zu entscheiden, auf jeden Fall verschaffte es ihm Zeit, sich eine Antwort zurechtzulegen. Brunetti, mit dieser Taktik vertraut, wartete schweigend mit gleichgültiger Miene.
    »Wollen wir uns nicht setzen?«, schlug Turchetti vor und ging zu seinem Schreibtisch zurück. Brunetti folgte ihm, nahm auf einem der Stühle auf der Kundenseite Platz und sah sich um, aber nichts von all den Gemälden und Zeichnungen [272]  nahm ihn so sehr ein wie jene Märtyrerin. Turchetti blieb zunächst mit verschränkten Armen an den Tisch gelehnt stehen, dann aber schien ihm plötzlich bewusst zu werden, wie dominant er sich gegenüber seinem Gast ausnehmen musste, und er setzte sich ebenfalls. »Ihr Schwiegervater«, fing er an, »hat mir erzählt, was Sie sind.«
    Brunetti bewunderte die erlesene Feinfühligkeit, die es nicht über sich brachte, das Wort »Polizist« auszusprechen. Er nickte.
    »Und Sie verfügten über einen gewissen ... wie soll ich sagen?«, fragte Turchetti. Offenbar suchte

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