Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Commissario stoppte am Straßenrand, Gegè hielt neben ihm, beugte sich weit zu ihm hinüber und reichte ihm ein Päckchen durchs Fenster. »Ich hab' die mostazzoli vergessen.«
»Danke. Ich dachte schon, die wären eine faule Ausrede.«
»Wofür hältst du mich? Glaubst du, ich mache dir was vor?« Beleidigt gab er Gas.
Der Commissario verbrachte eine fürchterliche Nacht. Sein erster Gedanke war, den Questore per Telefon zu wecken und ihn zu informieren, um sich gegen jede Entwicklung abzusichern, die die Geschichte nehmen konnte. Aber Tano u Grecu hatte eindeutige Anweisungen gegeben, wie Gegè berichtet hatte: Montalbano durfte niemanden etwas wissen lassen, und zu dem Treffen mußte er allein kommen. Doch das hier war kein Räuber-und-Gendarm-Spiel, und er mußte seine Pflicht tun. Das hieß, er mußte seine Vorgesetzten verständigen und zusammen mit ihnen die taktische Maßnahme der Verhaftung, eventuell mit Hilfe massiver Verstärkung, bis in die kleinsten Details vorbereiten.
Tano war seit fast zehn Jahren flüchtig, und er sollte ihn seelenruhig und gutgelaunt besuchen, wie einen Freund, der aus Amerika zurück ist? Das kam gar nicht in Frage, es war völlig unmöglich, der Questore mußte unbedingt davon in Kenntnis gesetzt werden. Er wählte die Privatnummer seines Vorgesetzten in Montelusa, der Hauptstadt der Provinz.
»Bist du es, Liebling?« vernahm er da Livias Stimme aus Boccadasse, Genua.
Montalbano stockte einen Moment lang der Atem, instinktiv hatte er wohl die falsche Nummer gewählt, um das Gespräch mit dem Questore zu vermeiden.
»Entschuldige wegen vorhin, ich hatte einen unvorhergesehenen Anruf bekommen und mußte weg.«
»Ist schon gut, Salvo, ich weiß ja, was du für einen Beruf hast. Entschuldige du, daß ich so schnell aufgelegt habe, ich war einfach enttäuscht.«
Montalbano sah auf die Uhr, es waren noch mindestens drei Stunden bis zu dem Treffen mit Tano. »Wenn du magst, können wir ja jetzt reden.«
»Jetzt? Entschuldige, Salvo, ich will mich nicht rächen, aber lieber nicht. Ich habe ein Schlafmittel genommen und kann die Augen kaum offen halten.«
»In Ordnung. Bis morgen dann. Ich liebe dich, Livia.«
Livias Stimme klang plötzlich ganz anders, hellwach und besorgt: »He, was ist los? Was ist mit dir, Salvo?«
»Nichts, was soll denn sein?«
»Nein, nein, mein Lieber, du schwindelst. Hast du was Gefährliches vor? Mach mir keinen Kummer, Salvo.«
»Wie kommst du denn auf so was?«
»Sag die Wahrheit, Salvo.«
»Ich habe nichts Gefährliches vor.«
»Ich glaub' dir nicht.«
»Aber warum denn nicht, Herrgott noch mal?«
»Weil du ‚ich liebe dich’ gesagt hast, und das hast du erst dreimal gesagt, seit wir uns kennen, ich hab' mitgezählt, und jedesmal war irgendwas Besonderes.«
Er mußte das Gespräch unbedingt beenden, Livia würde sonst bis zum nächsten Morgen keine Ruhe geben.
» Ciao, Liebling, schlaf gut. Sei kein Kindskopf. Ciao, ich muß noch mal weg.«
Wie sollte er sich jetzt die Zeit vertreiben? Er duschte, las ein paar Seiten in dem Buch von Montalbán und begriff wenig, wanderte von Zimmer zu Zimmer, rückte hier ein Bild gerade, las dort einen Brief, eine Rechnung, eine Notiz und griff nach allem, was in Reichweite lag. Er duschte noch einmal, rasierte sich und schnitt sich mitten am Kinn. Er schaltete den Fernseher ein und machte ihn sofort wieder aus, weil ihm davon übel wurde. Endlich war es soweit. Er war schon an der Tür, als er sich noch ein mostazzolo di vino cotto in den Mund stecken wollte. Sehr erstaunt stellte er fest, daß die Schachtel auf dem Tisch offen und kein einziges Stück mehr darin war. Vor lauter Nervosität hatte er gar nicht gemerkt, daß er alles aufgegessen hatte. Und das schlimmste war: Er hatte es gar nicht genossen.
Zwei
Montalbano wandte sich langsam um, als wollte er so die plötzliche stille Wut darüber ausgleichen, daß er sich wie ein blutiger Anfänger von hinten hatte erwischen lassen. Er war doch so wachsam gewesen, und jetzt hatte er nicht das geringste Geräusch gehört.
Eins zu null für dich, du Scheißkerl! dachte er. Obwohl er ihn nie persönlich gesehen hatte, erkannte er ihn sofort: Tano hatte sich, verglichen mit ein paar Jahren zuvor, zwar verändert und trug jetzt einen Bart, aber seine Augen waren immer noch dieselben, ganz und gar ausdruckslos, wie von einer Statue, das hatte Gegè ganz treffend beschrieben. Tano u Grecu verbeugte sich leicht, und in seiner Geste war keine Spur von
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