Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine
della Madonna delle Grazie, der Kirche, die praktisch an das Haus seines Kollegen angrenzte.
Als er auf die Piazza kam, sah er die schwarzbehängte Kirche und Leute, die hineinhasteten. Der Gottesdienst hatte wohl mit Verspätung angefangen, nicht nur Montalbano kam eben manchmal etwas dazwischen.
»Ich fahr in die Werkstatt des Kommissariats und lass den Wagen anschauen«, sagte Gallo. »Nachher hol ich Sie wieder ab.«
Montalbano betrat die überfüllte Kirche, der Gottesdienst hatte gerade begonnen. Er sah sich um, kannte aber niemanden. Tamburrano saß bestimmt in der ersten Reihe, in der Nähe des Sarges vor dem Hochaltar. Der Commissario beschloss zu bleiben, wo er war, neben dem Portal: Er würde Tamburrano die Hand schütteln, wenn der Sarg aus der Kirche getragen wurde. Bei den ersten Worten des Pfarrers, eine ganze Zeit lang nach Beginn der Messe, schrak er zusammen. Er hatte richtig gehört, da war er ganz sicher.
Der Pfarrer hatte gerade angefangen zu sagen:
»Unser geliebter Nicola hat dieses irdische Jammertal verlassen.«
Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und tippte einer alten Frau auf die Schulter.
»Entschuldigen Sie, Signora, für wen ist diese Trauerfeier?«
»Für den armen Ragioniere Pecorato. Pirchi? Warum?«
»Ich dachte, sie sei für Signora Tamburrano.«
»Ah. Die war in der Chiesa di Sant'Anna.«
Zu Fuß - er rannte fast - brauchte er zur Chiesa di Sant' Anna eine Viertelstunde. Außer Atem und schwitzend traf er den Pfarrer in der ansonsten menschenleeren Kirche an.
»Verzeihen Sie, die Trauerfeier für Signora Tamburrano?«
»Die ist schon seit bald zwei Stunden vorbei«, sagte der Pfarrer und musterte ihn streng.
»Wissen Sie, ob sie hier beerdigt wird?«, fragte Montalbano und wich dem Blick des Pfarrers aus.
»Aber nein! Sie haben sie nach der Trauerfeier nach Vibo Valentia mitgenommen. Sie wird dort im Familiengrab bestattet. Ihr Mann, der Witwer, wollte mit seinem Auto hinterherfahren.«
Es war also alles umsonst gewesen. An der Piazza della Madonna delle Grazie hatte er ein Café mit Tischen im Freien gesehen. Als Gallo mit dem notdürftig reparierten Wagen ankam, war es fast zwei Uhr. Montalbano erzählte ihm, was passiert war.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Gallo, mittlerweile vollends zerknirscht, zum dritten Mal an diesem Vormittag.
»Iss eine brioscia mit einer granita, die machen sie hier gut, und dann fahren wir zurück. Wenn il Signore uns beisteht und la Madonna uns begleitet, sind wir abends um sechs in Vigata.«
Die Bitte wurde erhört, sie brausten dahin, dass es ein Vergnügen war.
»Das Auto steht immer noch da«, sagte Gallo, als Vigàta schon in Sicht war.
Der Twingo stand genau so da, wie sie ihn am Morgen verlassen hatten, etwas schräg an der Einmündung zu der Auffahrt.
»Die haben bestimmt schon im Kommissariat angerufen«, sagte Montalbano.
Aber er machte sich selbst was vor: Der Anblick des Autos und der kleinen Villa mit den verriegelten Fenstern bereitete ihm Unbehagen.
»Fahr zurück!«, befahl er Gallo plötzlich.
Gallo machte eine verwegene Kehrtwendung, die ein Hupkonzert auslöste, in Höhe des Twingos machte er wieder eine, die noch verwegener war, und bremste hinter dem beschädigten Auto.
Montalbano stieg schnell aus. Er hatte im Rückspiegel schon richtig gesehen, als sie vorbeigefahren waren: Der Zettel mit der Telefonnummer steckte noch am Scheibenwischer, niemand hatte ihn angerührt.
»Da stimmt was nicht«, sagte der Commissario zu Gallo, der ihm gefolgt war. Er ging den Weg entlang. Die Villa musste erst kürzlich gebaut worden sein, das Gras vor der Haustür war noch vom Kalk verbrannt. Auch neue Dachziegel waren in einem Winkel vor dem Haus gestapelt. Der Commissario sah aufmerksam die Fenster an, kein Licht drang nach außen.
Er ging an die Tür und klingelte. Er wartete ein bisschen und klingelte dann noch mal.
»Weißt du, wem das Haus gehört?«, fragte er Gallo.
»Nonsi, Dottore.«
Was sollte er tun? Es wurde Abend, er war mittlerweile ziemlich müde, dieser anstrengende und nutzlose Tag saß ihm in den Knochen.
»Komm, wir fahren«, sagte er und fügte, weil er sich das vergeblich einzureden suchte, hinzu: »Die haben bestimmt schon angerufen.«
Gallo sah ihn zweifelnd an, sagte aber nichts.
Der Commissario ließ Gallo gar nicht erst ins Büro, sondern schickte ihn sofort nach Hause, damit er sich ausruhen konnte. Sein Vice, Mimi Augello, war nicht da, er war zur Berichterstattung beim neuen
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