Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
Sie mir, das ist absurd.«
»Was hat Susannas Mutter eigentlich?«
»Offen gestanden habe ich das nicht kapiert, Commissario. Vor vierzehn Tagen hat sich Susannas Onkel Carlo, der Arzt, mit zwei Spezialisten beraten, einer kam aus Rom, der andere aus Mailand. Sie waren ratlos. Susanna sagte mir, dass ihre Mutter an einer unheilbaren Krankheit leidet, nämlich an Lebensüberdruss. Eine Art tödlicher Depression. Aber als ich sie nach dem Grund für diese Depression fragte, weil ich glaube, dass es immer einen Grund gibt, wich sie mir aus.«
Montalbano brachte die Rede wieder auf Susanna.
»Wie hast du Susanna kennen gelernt?«
»Zufällig, in einer Bar. Sie war mit einem Mädchen dort, mit dem ich damals viel zusammen war.«
»Wann war das?«
»Vor einem halben Jahr.«
»Wart ihr euch gleich sympathisch?«
Francesco lächelte gezwungen.
»Sympathie? Liebe auf den ersten Blick.«
»Und? Wart ihr zusammen?«
»Wie, zusammen?«
»Habt ihr miteinander geschlafen?«
»Ja.«
»Wo?«
»Bei mir.«
»Lebst du allein?«
»Mit meinem Vater. Er ist viel unterwegs, oft im Ausland. Er ist Holzgroßhändler. Jetzt ist er gerade in Russland.«
»Und deine Mutter?«
»Sie sind geschieden. Meine Mutter hat wieder geheiratet und lebt in Syrakus.«
Francesco schien noch etwas sagen zu wollen, er öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
»Erzähl weiter«, drängte Montalbano.
»Aber ich …«
»Sag schon.«
Francesco zögerte, er genierte sich, über etwas so Privates zu reden.
»Du wirst sehen, bei der Polizei wirst du später auch indiskrete Fragen stellen müssen.«
»Ich weiß. Ich wollte sagen, dass wir es nicht oft gemacht haben.«
»Wollte sie nicht?«
»Das stimmt nicht ganz. Aber normalerweise war ich derjenige, der gefragt hat, ob sie zu mir kommen will. Und ich hatte immer das Gefühl, dass sie distanziert war, irgendwie abwesend. Sie war mit mir zusammen, um mir einen Gefallen zu tun, das ist es. Ich begriff, dass die Krankheit der Mutter ihr Leben bestimmte. Und ich schämte mich, dass ich von ihr verlangte … Erst gestern Nachmittag …«
Er verstummte und machte ein merkwürdig verdutztes Gesicht.
»Wie seltsam«, murmelte er.
Der Commissario horchte auf.
»Erst gestern Nachmittag …?«, hakte er nach.
»… hat sie mich gefragt, ob wir zu mir gehen. Und ich habe ja gesagt. Wir hatten nicht viel Zeit, weil sie noch auf der Bank gewesen war und dann zum Lernen zu Tina wollte.«
Francesco war noch immer ganz benommen.
»Vielleicht wollte sie dich für deine Geduld belohnen«, sagte Montalbano.
»Vielleicht haben Sie Recht. Denn diesmal war Susanna zum ersten Mal bei der Sache. Ganz und gar. Mit mir. Verstehen Sie?«
»Ja. Du hast doch eben gesagt, sie sei auf der Bank gewesen, bevor ihr euch getroffen habt. Weißt du, was sie dort wollte?«
»Geld abheben.«
»Hat sie das gemacht?«
»Ja.«
»Weißt du, wie viel?«
»Nein.«
Warum hatte Susannas Vater dann gesagt, seine Tochter hätte höchstens dreißig Euro dabeigehabt? Wusste er nicht, dass sie auf der Bank gewesen war? Er stand auf, Francesco ebenfalls.
»Also dann, Francesco, du kannst gehen. Es hat mich wirklich gefreut, dich kennen zu lernen. Wenn ich was brauche, rufe ich dich an.«
Sie schüttelten einander die Hände.
»Darf ich Sie was fragen?«
»Natürlich.«
»Was glauben Sie, warum Susannas Roller in die andere Richtung zeigte?«
Francesco Lipari hatte zweifellos das Zeug zu einen guten Polizisten.
Er rief in Marinella an. Livia war eben zurückgekommen und bestens gelaunt.
»Ich habe einen wundervollen Ort entdeckt!«, sagte sie. »Kolymbetra. Denk nur, das war ursprünglich ein gigantisches Wasserbecken, das die karthagischen Gefangenen ausgehoben haben.«
»Wo ist das?«
»Bei den Tempeln. Jetzt ist es eine Art riesiger Garten Eden und seit kurzem für die Öffentlichkeit zugänglich.«
»Hast du schon mittaggegessen?«
»Nein. Ich habe mir in Kolymbetra ein belegtes Brötchen gekauft. Und du?«
»Ich hab auch nur ein Brötchen gegessen.«
Die Lüge war ihm spontan über die Lippen gekommen. Warum hatte er ihr nicht gesagt, dass er sich unter Umgehung der Diät, zu der sie ihn zwang, mit Couscous und Meerbarben den Bauch voll geschlagen hatte? Warum? Vielleicht war es eine Mischung aus Scham, Feigheit und mangelnder Streitlust.
»Du Ärmster! Kommst du spät?«
»Ich denke nicht.«
»Dann koche ich uns etwas.«
Das war die prompte Strafe für die Lüge: Livias Essen als Buße. Sie kochte nicht
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