Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
ist denn da?«
»Soll ich Ihnen das alphabetisch aufsagen?«
»Wenn’s sein muss …«
»Also, da wären Gallo, Galluzzo, Germanà, Giallombardo, Grasso, Imbrò …«
Er entschied sich für Gallo.
»Ja, Dottore?«
»Hör zu, Gallo, du musst noch mal zu dem Feldweg, zu dem du mich heute Morgen gefahren hast.«
»Und was soll ich tun?«
»An dem Weg liegen ein Dutzend kleine Bauernhäuser. Du fragst bei jedem Haus, ob jemand Susanna Mistretta kennt oder gestern Abend ein Mädchen auf einem Roller hat vorbeifahren sehen.«
»Ist gut, Dottore, morgen früh …«
»Nein, Gallo, versteh mich richtig. Du fährst sofort hin und rufst mich dann zu Hause an.«
Ihm graute ein bisschen vor dem Kreuzverhör, dem Livia ihn unterziehen würde. Sie fing auch sofort an, nachdem sie Montalbano geküsst hatte, etwas zerstreut, wie er fand.
»Warum musstest du arbeiten?«
»Der Questore hat mich in den Dienst zurückbeordert.«
Vorsichtshalber fügte er hinzu:
»Nur vorübergehend.«
»War es anstrengend?«
»Überhaupt nicht.«
»Musstest du fahren?«
»Ich war nur mit dem Streifenwagen unterwegs.«
Ende des Verhörs. Von wegen Kreuzverhör! Mit Samthandschuhen hatte sie ihn angefasst.
Fünf
»Hast du die Nachrichten gehört?«, fragte er, als die Gefahr vorüber war.
Livia antwortete, sie habe gar nicht ferngesehen. Er musste also die Nachrichten von »Televigàta« um halb elf abwarten, denn Minutolo hatte bestimmt einen Journalisten dieses – ganz gleich unter welcher Führung – stets regierungstreuen Senders gewählt. Die Pasta war zwar ein bisschen zerkocht und der Sugo leicht säuerlich, das Fleisch sah aus wie Pappe und schmeckte auch so, aber als Anstiftung zum Mord konnte man Livias Abendessen trotzdem nicht bezeichnen. Livia erzählte die ganze Zeit von Kolymbetra und versuchte ihm ein wenig von den Gefühlen zu vermitteln, die sie in dem Garten empfunden hatte.
Plötzlich verstummte sie, stand auf und ging auf die Veranda.
Montalbano merkte mit leichter Verzögerung, dass sie aufgehört hatte zu sprechen. Er dachte, sie sei rausgegangen, weil sie ein Geräusch gehört hatte, und rief, ohne aufzustehen:
»Was ist da? Hast du was gehört?«
Livia kam mit funkelnden Augen zurück.
»Nichts habe ich gehört. Was sollte ich denn hören? Dein Schweigen habe ich gehört! Ich rede mit dir und du hörst nicht zu. Oder du tust so, als wurdest du zuhören, und grunzt dann nur irgendwas Unverständliches!«
O Gott, bitte keine Szene! Die musste um jeden Preis vermieden werden! Vielleicht sollte er einfach Theater spielen – nicht richtig, nur ein bisschen, denn er war ja wirklich müde.
»Aber nein, Livia«, sagte er.
Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte das Gesicht in die Hände. Das wirkte, Livia änderte sofort den Ton.
»Überleg doch mal, Salvo, da redet man mit dir und du …«
»Ja, ich weiß. Bitte verzeih, ich bin nun mal so und merke gar nicht …«
Er sprach mit erstickter Stimme, die Hände fest auf die Augen gedrückt. Dann sprang er plötzlich auf, lief ins Bad und schloss sich ein. Er wusch sich das Gesicht und kam wieder heraus.
Livia wartete reumütig vor der Tür. Er hatte gut gespielt, die Zuschauerin war gerührt. Sie umarmten sich innig und baten einander um Verzeihung.
»Entschuldige, aber der Tag heute …«
»Bitte verzeih du mir, Salvo.«
Sie saßen zwei Stunden auf der Veranda und plauderten.
Dann gingen sie hinein, der Commissario schaltete »Televigàta« ein. Die Entführung von Susanna Mistretta war natürlich die erste Meldung. Der Reporter sprach über die junge Frau, und auf dem Bildschirm erschien ein Foto von ihr. Montalbano wurde bewusst, dass er bislang gar nicht hatte wissen wollen, wie sie aussah. Sie war bildhübsch, blond, blaue Augen. Natürlich bekam sie auf der Straße Komplimente, wie Francesco gesagt hatte. Doch sie strahlte eine solche Selbstsicherheit und Entschlossenheit aus, dass sie ein paar Jahre älter wirkte, als sie war. Dann kam die Villa ins Bild. Der Reporter sprach unbeirrt von einer Entführung, obwohl bei der Familie noch keine Lösegeldforderung eingegangen war. Zum Schluss kündigte er eine Erklärung des Vaters exklusiv bei »Televigàta« an. Mistretta erschien auf dem Bildschirm.
Montalbano traute seinen Ohren nicht. Manche Leute verlieren vor der Fernsehkamera die Fassung, sie stammeln, schielen, schwitzen, reden irgendeinen Mist – er selbst gehörte zu diesen Unglücklichen –, andere wiederum bleiben ganz
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