Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
Susannas Freund.
»Hallo? Bin ich da bei Lipari? Hier spricht Commissario Montalbano. Kann ich mit Francesco sprechen?«
»Ah, Sie sind es. Ich bin selbst dran, Commissario.«
In seiner Stimme klang Enttäuschung mit, er hatte sicherlich auf einen Anruf von Susanna gehofft.
»Könnten Sie vorbeikommen?«
»Wann?«
»Meinetwegen gleich.«
»Gibt es Neuigkeiten?«
Jetzt hatte Angst die Enttäuschung verdrängt.
»Nein, ich möchte nur mit Ihnen reden.«
»Ich komme sofort.«
Vier
Keine zehn Minuten später war er da.
»Mit dem Roller geht das ruckzuck.«
Ein hübscher junger Mann, groß, gut gekleidet, klarer und offener Blick. Aber ihm war anzusehen, dass er sich große Sorgen machte. Er war sehr nervös und setzte sich ganz vorn auf die Stuhlkante.
»Hat mein Kollege Minutolo Sie schon befragt?«
»Mich hat niemand befragt. Ich habe am späten Vormittag Susannas Vater angerufen, weil ich wissen wollte … Aber leider …«
Er schwieg und sah dem Commissario in die Augen.
»Dieses Schweigen lässt mich das Schlimmste denken.«
»Nämlich?«
»Dass sie von jemandem verschleppt wurde, der sie missbraucht. Entweder sie ist noch in seiner Gewalt oder er hat sie schon …«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Commissario, hier in der Gegend weiß jeder, dass Susannas Vater kein Geld hat. Er war mal reich, aber dann musste er alles verkaufen.«
»Warum? Gingen die Geschäfte schlecht?«
»Ich kenne den Grund nicht, aber er ist kein Geschäftemacher, er hat gut verdient und eine ganze Menge auf die Seite gelegt. Und ich glaube, dass Susannas Mutter geerbt hat … Mehr weiß ich leider nicht.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Ich meine: Können Sie sich vorstellen, dass die Kidnapper über die tatsächlichen Verhältnisse ihres Opfers nicht im Bilde sind? Dass sie einen solchen Bock schießen? Nie und nimmer! Die wissen doch besser Bescheid als das Finanzamt!«
Das klang einleuchtend.
»Und noch etwas«, fuhr Francesco fort. »Ich habe Susanna mindestens viermal bei Tina abgeholt. Wir sind dann mit unseren Rollern zu Susanna nach Hause gefahren. Manchmal hielten wir unterwegs an. Vor dem Gartentor verabschiedeten wir uns, und ich fuhr zurück. Wir sind immer dieselbe Straße gefahren. Die schnellste, die nahm Susanna immer. Aber gestern Abend ist Susanna anders gefahren, eine einsame, stellenweise unwegsame Strecke, für die man einen Geländewagen bräuchte, kaum beleuchtet und viel länger als die andere. Ich weiß nicht, warum sie das gemacht hat. Der Weg ist ideal für eine Entführung. Vielleicht war es eine schreckliche Zufallsbegegnung.«
Der junge Mann hatte seinen Kopf beieinander.
»Wie alt sind Sie, Francesco?«
»Dreiundzwanzig. Sagen Sie doch du zu mir, wenn Sie wollen. Sie könnten mein Vater sein.«
Montalbano fühlte einen Stich bei dem Gedanken, dass er es nicht mehr erleben würde, Vater eines solchen Jungen zu werden.
»Studierst du?«
»Ja, Jura. Nächstes Jahr bin ich fertig.«
»Was willst du dann machen?«
Er fragte nur, damit Francesco sich ein wenig entspannte.
»Das, was Sie machen.«
Montalbano glaubte, er hätte sich verhört.
»Du willst zur Polizei?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil ich Lust dazu hätte.«
»Dann wünsche ich dir viel Erfolg. Um auf deine Vermutung mit dem Vergewaltiger zurückzukommen … Es ist wohlgemerkt nur eine Vermutung …«
»An die Sie bestimmt auch schon gedacht haben.«
»Ja. Hat Susanna jemals davon gesprochen, dass sie anstößige Anträge, obszöne Anrufe oder Ähnliches bekommen hat?«
»Susanna ist sehr verschlossen. Sie kriegt Komplimente, natürlich. Wo immer sie auftaucht. Sie sieht gut aus. Manchmal erzählt sie mir davon, und dann lachen wir. Aber wenn etwas geschehen wäre, was ihr Angst machte, hätte sie es mir sicher gesagt.«
»Ihre Freundin Tina ist überzeugt, dass Susanna aus freien Stücken weggegangen ist.«
Francesco stand vor Bestürzung der Mund offen.
»Wieso denn das?«
»Ein plötzlicher Zusammenbruch. Der Schmerz, die Anspannung wegen der kranken Mutter, die körperliche Anstrengung mit der Pflege, das Studium. Ist Susanna wenig belastbar?«
»So denkt Tina über sie? Dann kennt sie Susanna nicht! Klar wird sie irgendwann mit den Nerven am Ende sein, aber genauso klar ist, dass sie bis zum Tod der Mutter durchhält! Susanna wird sie bis zum Schluss versorgen. Denn wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hat, wovon sie überzeugt ist, ist sie zu allem entschlossen … Von wegen nicht belastbar! Nein, glauben
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