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Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Titel: Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Kirche und auf dem Friedhof absolut niemanden sehen. Am Rande wurde auch erwähnt, der Ingenieur sei untergetaucht, um seiner drohenden Festnahme zu entgehen. Aber dafür gebe es keine offizielle Bestätigung. In den Acht-Uhr-Nachrichten des zweiten Senders kamen die gleichen Meldungen, nur in anderer Reihenfolge: erst die Nachricht, der Ingenieur sei untergetaucht, und anschließend der Hinweis auf den Wunsch nach einer Beerdigung im engsten Familienkreis. Niemand dürfe die Kirche betreten, niemand habe Zugang zum Friedhof.
    Das Telefon klingelte, als er sich gerade auf den Weg in die Trattoria machen wollte. Sein Magen knurrte, mittags hatte er praktisch nichts gegessen, und das rohe Ei bei Angela hatte als Aperitif gedient.
    »Commissario? Hier … Hier ist Francesco.«
    Montalbano erkannte die heisere, zögerliche Stimme nicht.
    »Welcher Francesco?«, fragte er unfreundlich.
    »Francesco Li … Lipari.«
    Susannas Freund. Aber warum redete er so?
    »Was ist passiert?«
    »Susanna …«
    Er verstummte. Montalbano hörte ihn deutlich schniefen.
    Er weinte.
    »Susanna hat ge … gesagt …«
    »Hast du sie gesehen?«
    »Nein. Aber sie ist e … endlich ans Te … Telefon gekommen.«
    Jetzt schluchzte er richtig.
    »Ent … Entschuldigen Sie.«
    »Ganz ruhig, Francesco. Willst du zu mir kommen?«
    »Nein, d … danke. Ich b … bin … Ich h … habe getrunken. Sie hat gesagt, dass sie mich n … nicht mehr s … sehen will.«
    Montalbano wurde es eiskalt, vielleicht kälter, als es Francesco geworden war. Was hatte das zu bedeuten? Dass Susanna einen anderen hatte? Wenn sie einen anderen hatte, konnte er sich seine ganzen Überlegungen und Vermutungen sonstwo hinstecken. Dann waren sie nichts weiter als lächerliche, armselige Phantasien eines alten Commissario, der anfing zu spinnen.
    »Ist sie in einen anderen Mann verliebt?«
    »Schlimmer.«
    »Wie, schlimmer?«
    »Es … Es gibt keinen anderen. Es ist eine Art Gelübde, ein Entschluss, den sie in der Gefangenschaft gefasst hat.«
    »Ist sie gläubig?«
    »Nein. Sie hat sich selbst ein Versprechen gegeben … wenn sie es schaffen sollte, rechtzeitig freizukommen, um ihre Mutter noch lebend zu sehen … Spätestens in einem Monat reist sie ab. Ihre Stimme klang, als wäre sie schon fort.«
    »Hat sie gesagt, wohin sie geht?«
    »Nach Afrika. Sie w … will nicht fertig stu … dieren, sie will nicht heiraten, sie ver … zichtet auf Kinder, auf alles verzichtet sie.«
    »Was will sie denn dort?«
    »Sich nützlich machen. Das hat sie zu mir gesagt: ›Ich will mich endlich nützlich machen.‹ Sie geht mit einer Freiwilligenorganisation hin. Und wissen Sie was? Sie hat sich schon vor zwei Monaten darum beworben und mir kein Wort gesagt. Während sie mit mir zusammen war, hat sie schon daran gedacht, mich für immer zu verlassen. Was ist nur in sie gefahren?«
    Es gab also keinen anderen Mann. Alles passte wieder zusammen. Und besser als vorher.
    »Glaubst du, sie überlegt es sich noch mal?«
    »Nein, Commissario. Sie hätten ihre Stimme hören sollen … Und ich kenne sie, wenn sie sich was in den Kopf ge … setzt hat … Aber was bedeutet das, um H … Himmels willen, Commissario? Was bedeutet das?«
    Die letzte Frage war ein Schrei. Montalbano wusste längst, was es bedeutete, aber er konnte es Francesco nicht sagen. Es wäre zu kompliziert und vor allem zu unglaublich gewesen. Aber für ihn, Montalbano, war alles einfacher geworden. Lange Zeit war die Waage im Gleichgewicht gewesen, doch jetzt war eine Waagschale deutlich gesunken. Was er eben von Francesco erfahren hatte, bestätigte ihm, dass sein nächster Schritt richtig war. Und der musste sofort getan werden.
    Doch bevor er etwas unternahm, wollte er sich mit Livia besprechen. Er legte die Hand auf den Hörer, nahm ihn aber nicht ab. Erst musste er noch in sich gehen. Bedeutete sein Vorhaben vielleicht, dass er jetzt, wo er fast am Ende seines Arbeitslebens angelangt war, den Prinzipien, die er jahrelang befolgt hatte, aus der Sicht seiner Vorgesetzten, aus der Sicht des Gesetzes untreu wurde? Aber hatte er diese Prinzipien denn immer geachtet? Hatte Livia ihn nicht einmal angefahren, er handele wie ein kleiner Gott, dem es Spaß macht, die Dinge zu verfälschen oder in eine neue Ordnung zu bringen? Livia irrte, er war kein Gott, bestimmt nicht. Er war nur ein Mensch, der sich ein eigenes Urteil darüber bildete, was richtig und was falsch war. Und manchmal wurde etwas, was er für richtig hielt, von

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