Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
Telefon und rufe sie jetzt gleich an.«
Er stand auf, ging ins Haus, griff zum Telefon, wählte die Nummer von Livia, doch sobald er den ersten Klingelton hörte, legte er wieder auf.
Nein, genau betrachtet, hatte er doch nicht richtig frei. Immerhin war die Sache mit der Entführung Picarellas noch nicht geklärt. Das war ihm völlig entfallen. Wie war das noch mal ausgegangen? Hatte Picarella zugegeben, dass die Entführung nur vorgetäuscht war, oder nicht? Montalbano sah auf die Uhr. Es war zu spät, um noch bei Mimi anzurufen, womöglich wachte der Kleine auf und dann stand Chaos bevor.
Vielleicht war es besser, Livia am folgenden Abend anzurufen, wenn absolut oder besser gesagt einigermaßen sicher war, dass er keinen Schlamassel mehr am Bein hatte. Bei der Vorstellung, dass so ein Unsinn wie Picarellas Entführung sein Leben bestimmen könnte, wurde er nervös. Und da gab er sich das feierliche Versprechen: Spätestens bis zum Abend des folgenden Tages würde er beweisen, dass Picarella eine große Show abgezogen hatte, und ihn wegen Vortäuschung eines Verbrechens einbuchten lassen. Und gleich danach würde er Livia anrufen. Er ging zu Bett und schlief sechs Stunden fast ohne Unterbrechung.
Sechzehn
Fast ohne Unterbrechung, denn er hatte einen sonderbaren Traum, nach dem er kurz aufgewacht war. Doch danach schlief er wieder weiter.
Er war mit Livia auf den Bahamas (er wusste, dass er auf den Bahamas war, auch wenn er zugleich sicher war, niemals auf den Bahamas gewesen zu sein), an einem überfüllten Strand mit Menschen in Badebekleidung, wunderschöne junge Frauen oben ohne und im Tanga, Jugendliche wie der aus dem Tod in Venedig, fette Männer mit Schmerbauch, Gays, die sich umarmten, Schwimmmeister, die richtige Muskelprotze waren, wie man sie aus amerikanischen Filmen kennt. Auch Livia war im Badeanzug. Er allerdings nicht, er war tadellos gekleidet und trug sogar eine Krawatte. »Konnten wir denn nicht zu einem weniger überlaufenen Strand gehen?«
»Das hier ist der am wenigsten überlaufene auf der ganzen Insel. Warum ziehst du dich eigentlich nicht aus?«
»Ich hab meine Badehose vergessen.«
»Aber hier verkaufen sie doch welche! Siehst du das Flugzeug da hinten? Da wird alles verkauft, Badehosen, Handtücher, Badekappen…«
Auf dem Strand stand ein Flugzeug, und die Leute ringsum kauften Sachen.
f»Ich habe das Portemonnaie im Hotel gelassen.«
»Du findest immer eine Ausrede, nur um nicht schwimmen zu müssen! Aber dir werd ich's jetzt zeigen!« Und schlagartig waren sie nicht mehr auf den Bahamas. Nun waren sie im Badezimmer einer Wohnung, und Livia war seine Tante, dabei aber immer noch Livia. »Nein, du gehst nicht zur Schule, wenn du dich vorher nicht ausziehst und badest!«
Ein bisschen verschämt zog er sich nackt aus, und Livia, seine Tante, sah einen schwarzen Fleck oberhalb seines Herzens.
»Und was ist das da?«
»Weiß ich nicht.«
»Wo hast du dir den denn geholt?«
»Oooch.«
»Wasch ihn dir ab, und bevor du dich wieder anziehst, sag mir Bescheid, damit ich das kontrollieren kann. Du steigst nicht eher aus der Wanne, bis der Fleck verschwunden ist.«
Er wusch und wusch, seifte ihn ein, rubbelte sich mit einem Schwamm ab, nichts zu machen, der Fleck verschwand nicht. Voller Verzweiflung fing er an zu weinen.
Er schlug die Augen auf und sah Adelina mit einer Tasse Espresso, dessen Duft ihn wieder aufrichtete. »Dutturi, hab ich was falsch gemacht? Wollten Sie vielleicht noch ein bisschen schlafen?«
»Wie spät ist es?«
»Es ist gleich neun.«
Er stand auf, duschte sich, zog sich an und ging in die Küche.
»Dutturi, ich wollte sagen, dass mich heute Morgen der Anwalt von meinem Sohn Pasquali angerufen hat, der ist gestern Nachmittag im Gefängnis gewesen, um meinen Sohn zu sehen. Der Avvocato hat mir gesagt, dass mein Sohn ihm gesagt hat, er soll mir eine Adresse sagen, die ich dann Ihnen weitersagen soll.«
Montalbano erlitt einen leichten Schwindelanfall bei dem Versuch, sich einen Reim auf das zu machen, was Adelina ihm da gerade erzählte. »Und wie lautet die Adresse?«
»Via Palermo 16 in Gallotta.«
Das war die Anschrift der Unterkunft von Peppi Cannizzaro. Der offenbar mit Zin von Montelusa nach Gallotta umgezogen war. Doch jetzt hatte die Sache keine Bedeutung mehr, denn die Ermittlung ging ihn ja nichts mehr an.
»Wann bekommt er denn nun endlich seinen Hausarrest?«
»Wie's aussieht, in zwei Tagen.«
»Sag ihm meinen Dank für die Adresse.
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