Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
fiel, war der Comte de
Chambord zusammengezuckt. Er nickte stumm.
«Signor de Sivry
sagte uns», fuhr Tron fort, «er habe Hoheit dieses
Stück selber verkauft, und er vermutet, dass Hoheit die
Schnupftabaksdose gestohlen wurde. Deshalb hat er sich an die
Questura gewandt. Wir hatten inzwischen eine Unterredung mit Signor
Lupi. Haben Hoheit eine Erklärung dafür, wie diese Dose
in seinen Besitz gelangt sein
könnte?»
Tron sah den Comte
aufmerksam an. Er hatte das Phänomen zu oft beobachtet, um
nicht zu wissen, was jetzt kam. Da waren plötzlich rote
Flecken im Gesicht des Comtes, der schnellere Atem und die
charakteristischen Schweißperlen auf der Stirn.
Der Comte schloss die
Augen und dachte nach — zumindest tat er so.
Schließlich schlug er die Augen wieder auf. «Wir haben
keine Erklärung dafür», sagte er matt.
«In diesem
Fall», sagte Tron, «kann ich Hoheit behilflich sein.
Hier ist das Protokoll der Vernehmung von Signor Lupi.» Er
reichte es ihm über den Tisch.
Der Comte las die
ersten Seiten mit unbewegtem Gesicht. Dann senkte er den Kopf und
schwieg. Als er sprach, klang seine Stimme brüchig — wie
die eines alten Mannes. «Was wollen Sie von
uns?»
«Dass Hoheit uns
behilflich sind», sagte Tron schlicht. «Vermutlich
wohnt der Mann, den wir suchen, unter diesem Dach. Und diese Person
könnte einiges über Hoheit wissen.»
Der Comte lachte
nervös auf. «Sie meinen, wenn wir reden, redet er auch?
Schweigen um Schweigen?»
Tron beschränkte
sich darauf, wortlos den Kopf zu senken.
Dann sah er, wie der
Comte de Chambord aufstand und mit steifen Schritten zu dem
Konsoltisch lief, über dem das Porträt des
Sonnenkönigs hing. Dort blieb er, den Blick auf seinen
erlauchten Vorfahren gerichtet, einen Moment stehen.
Nachdem er wieder
Platz genommen hatte, sagte der Comte: «Erpresst worden sind
wir nicht, Commissario. Jedenfalls noch nicht. Aber wir wissen, dass der
Mann, um den es hier geht, zufällig von unserer Bekanntschaft
mit Signor Lupi erfahren hat.» Er seufzte. «Sie kennen
unseren Privatsekretär?»
«Signor Sorelli
ist ein Verwandter der Fürstin von Montalcino», sagte
Tron.
Der Comte machte ein
unglückliches Gesicht. «Sorelli hat fast jeden Abend das
Haus verlassen. Und er hat die Artikel aus der Gazzetta über die Morde
gesammelt.»
«Wenn das alles
ist, dann ist es nicht sehr viel.»
«Es ist aber
nicht alles. Haben Sie den Ring bemerkt, den Signor Sorelli am
Finger trägt?»
«Er trägt
einen goldenen Wappenring.»
«Dieser
Ring», sagte der Comte de Chambord, indem er einen Blick auf
seinen eigenen Wappenring warf, «zeigt ein Eichhörnchen
mit einer Krone. Er stammt aus der Familie der Mutter von Signor
Sorelli. Wir waren uns einig, dass er auf die erste Hälfte des
15. Jahrhunderts zu datieren ist.»
«Eine
Kostbarkeit also.»
Der Comte nickte.
«Er ist auch in anderer Hinsicht
bemerkenswert.»
«Und in welcher
Hinsicht?»
«Des
Eichhörnchens und der Krone wegen. Es handelt sich dabei um
das Wappen der Laval-Montmorencys, die damals, als der Ring
angefertigt wurde, zu den bedeutendsten Familien Frankreichs
gehörten.»
«Ich kann Hoheit
nicht ganz folgen.»
«Dieser
Ring», sagte der Comte, «ist wahrscheinlich von einem
Mann getragen worden, der im Oktober des Jahres 1440 nach einem
aufsehenerregenden Prozess gehängt und anschließend
verbrannt worden ist.» Er sah Tron an. «Sagt Ihnen der Name
Tiffauge etwas? Schloss Tiffauge in der
Normandie?»
Tron schüttelte
den Kopf.
«Es gehörte
in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts den
Laval-Montmorencys», sagte der Comte. «Der damalige
Schlossherr war Marschall von Frankreich.» Er schwieg einen
Moment, bevor er weitersprach. «Der Marschall wurde im Jahre
1440 gehängt, weil er über hundert Knaben und
Mädchen geschändet, gequält und anschließend
getötet hat.»
Plötzlich wusste
Tron, über wen der Comte sprach. Ihm fiel sogar der Name des
Mannes ein. «Meinen Hoheit ...Gilles de Rais?» Tron
hatte das unangenehme Gefühl, dass sich sein Verstand in
freiem Fall befand. «Reden wir von ... Blaubart?»
Der Comte de Chambord
nickte.
«Und Signor
Sorelli trägt Blaubarts Ring?»
«Es sieht ganz
danach aus.»
«Was soll damit
bewiesen werden?»
«Der Ring und
seine nächtlichen Ausflüge beweisen gar nichts»,
sagte der Comte. Er erhob sich von seinem Schreibtisch. «Aber
es hat sich inzwischen ein wenig mehr ergeben.»
«Was hat sich ergeben,
Hoheit?»
«Das
erklärt Ihnen am
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